Die lebendigen Kreuze neben uns


von Dan Nedelea aus Bukarest

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Die Vorweihnachtszeit ist ei­ne gu­te Ge­le­gen­heit, uns ein­mal über die Be­deu­tung des Kreu­zes als Sym­bol für die ru­mä­ni­sche Be­völ­ke­rung Ge­dan­ken zu ma­chen. Ne­ben der kirch­li­chen In­ter­pre­ta­tion, auf die ich hier aus­nahms­wei­se nicht ein­ge­hen möch­te, hat das Kreuz in Ru­mä­ni­en im Lau­fe der Ge­schich­te ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung er­run­gen. Es ver­bin­det Men­schen­see­len, die mit ih­rer ir­di­schen Um­ge­bung zu­tiefst ver­wur­zelt sind durch al­le Zei­ten und Epo­chen hin­weg wie ein An­ker mit dem Him­mel! Kreu­ze sind spre­chen­de Zeu­gen von zu Le­gen­den ge­wor­de­ner Zeit­ge­schich­te. Un­auf­dring­lich und doch un­über­seh­bar er­hei­schen sie mit sanf­tem Nach­druck die Auf­merk­sam­keit des Vo­rü­ber­ge­hen­den. Ein Blick aus dem Au­gen­win­kel, und schon zieht er uns in sei­nen Bann - der ar­cha­ische Ge­dan­ke, der hier in un­sterb­li­che Ma­te­rie ge­gos­sen sicht­bar und be­rühr­bar vor uns steht! Der Stif­ter ist längst ver­flos­sen, an ihn er­in­nert kei­ne In­schrift mehr. Sei­ne Bot­schaft aber lebt wei­ter im Stein. Sie spricht in al­len Spra­chen und an al­len Or­ten, an We­ges­rän­dern, in Wie­sen und Äckern, in Fel­dern, auf Hü­geln und Berg­gip­feln. Wer ih­ren lei­sen Ruf ver­neh­men kann, er­kennt: die Kreu­ze in Ru­mä­ni­en tra­gen Ge­füh­le! Lie­be­vol­le Er­in­ne­run­gen, die den Schmerz trans­zen­die­ren, den man nicht in Wor­te fas­sen kann, wohl aber in ge­dul­di­gen Stein. Mit ei­nem Blick er­schließt sich die Bot­schaft – ein Wun­der an Kom­mu­ni­ka­tion. Schwe­re Ma­te­rie schafft es, ge­ra­de die zar­te Sai­te un­se­rer See­le zu be­rüh­ren.
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So gibt es Kreu­ze in kar­gen Land­stri­chen als Zeu­gen der Spu­ren ei­nes bit­ter­har­ten Über­le­bens­kam­pfes, dem die Men­schen hier aus­ge­setzt wa­ren. Sie tra­gen tau­send Fra­ge­zei­chen. Was hat die Men­schen hier be­wo­gen, ih­re Ge­füh­le in Fels zu ver­ewi­gen? Es scheint, als bil­de das stei­ner­ne Kreuz ei­ne Brü­cke für wei­che Ge­dan­ken in ei­ner rau­en, har­ten Welt, die sol­che nicht zu­las­sen will, kann oder darf. „Ver­giss mich nicht“, sagt das klei­ne Kreuz am We­ges­rand und schleicht sich oh­ne Wor­te in ei­ne See­le. „Ich zei­ge dir, wo­rauf es wirk­lich an­kommt im Le­ben“. Lie­be, Hoff­nung, Schutz, die Idee der Un­sterb­lich­keit und die ewi­ge Ver­bun­den­heit der See­len, die über den Tod hi­naus­reicht - dies sind die Bot­schaf­ten der stei­ner­nen Mo­nu­men­te. Ge­dich­te und Lie­der ein­fa­cher Men­schen, die viel­leicht nicht dich­ten und nicht sin­gen kön­nen, und uns doch mit­ten ins Herz tref­fen. Ur­alt ist der Brauch, Le­gen­den aus der Ver­gan­gen­heit in Stein zu ver­ewi­gen. Doch die Tra­di­tion der spre­chen­den Kreu­ze ist in Ru­mä­nien bis heu­te le­ben­dig ge­blie­ben. Sie wer­den im­mer noch und ge­ra­de für die Zu­kunft ge­schaf­fen: als stil­le Un­ter­stüt­zer, Hel­fer und Be­schüt­zer im All­tag der Menschen.
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Hier ein paar Beispiele aus der Re­gion Bu­zau, die für sich spre­chen sollen:
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Hier gab es mal eine Kreu­zung, doch die Wege sind längst ver­gan­gen. So steht die­ses Kreuz heu­te ein­sam im Feld, als stum­mer Zeu­ge ei­ner einst be­lebt­en Ver­gan­gen­heit (bei Po­denii Vechi).
Kreuze
Dieses Kreuz trägt zwei Ge­sich­ter: ei­nes blickt zu­rück in ei­nen ein­sa­men, ver­wun­sche­nen Gar­ten, das an­de­re nach vor­ne auf die vor­bei­zie­hen­de Stra­ße - wie ein freund­li­cher Hel­fer den Men­schen zu­ge­wandt, die ih­ren Blick nach oben rich­ten. (Bo­zioru de Sus).
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Schutz und ewi­ge Be­stän­dig­keit für das Häus­chen ver­mit­telt die­ses Kreuz am obe­ren En­de ei­ner stei­ner­nen Trep­pe im Dorf Mla­jet, Bu­zau Tal.
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Dieses Kreuz wurde vor den Flu­ten ei­ner Über­schwem­mung hier oben im Gar­ten in Si­cher­heit ge­bracht – im Ge­gen­zug schützt es nun sei­ne Ret­ter im Dorf Vin­ti­la Vo­da, Sla­nic Tal.
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Stille Zwiespräche in einem fast ver­las­se­nen Dörf­chen na­mens Du­pa Pia­tra, Sta­nila Tal.
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Zu felsig, um einen Gar­ten zu pfle­gen – und doch kann man es im Schutz­kreis die­ses Kreu­zes zu­min­dest ver­su­chen. (Valea Boului, neben Coltzi)
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Dieser Ort trägt trau­ri­ge Ge­schich­te: Hier wur­den vor ei­ni­gen Hun­dert Jah­ren die an Pest er­krank­ten Dorf­be­woh­ner be­stat­tet. Wir wer­den sie be­stimmt nie ver­ges­sen! Von Zeit zu Zeit wird im­mer noch ein neu­es Kreuz hin­zu­ge­fügt, wie man an de­ren un­ter­schied­li­chen Al­ter er­ken­nen kann. Zwi­schen den Dör­fern Col­tzi und Nucu.
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Diese beiden See­len schei­nen ein­an­der schon zu Leb­zei­ten sehr zu­ge­tan ge­we­sen zu sein, jetzt stüt­zen sie sich wei­ter. (ver­las­se­ner Fried­hof, Nu­cet, bei Chioj­deanca).
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Auch nach ihrem Le­ben be­schützt die­ser Va­ter sei­ne bei­den Söh­ne wei­ter. (ver­las­se­ner Fried­hof, Nu­cet, bei Chioj­deanca).
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Drei Mitglieder ei­ner Fa­mi­lie, für im­mer ver­eint. (Mehe­dint­za, Cri­co­vul Sa­rat Tal).
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Was für eine innige, zeit­lo­se Ge­mein­schaft! Die­se Kreu­ze sind ein­an­der sicht­lich zu­ge­tan – sie be­rüh­ren sich an den Hän­den und schei­nen mit­ein­an­der zu spre­chen. (ver­las­se­ner Fried­hof, Nu­cet, bei Chioj­deanca).
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Seltsam beein­dru­ckend wir­ken die­se bi­zar­ren Kreu­ze auf dem Soi­mu Gip­fel über Lo­pat­nitza.
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Wie eine Lebkuchen­figur mu­tet die­ses ar­cha­ische Kreuz in Form ei­ner weib­li­chen Fi­gur an. Ob es wohl aus dem Wald von Hän­sel und Gre­tel stammt? (Jgheab, Jgheab Tal).
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Dieser steinerne Wäch­ter hat ei­nen gro­ßen Wir­kungs­kreis: von oben be­hü­tet er We­ge und Dör­fer im Ca­tia­shu Tal.
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Uralte Seele in einem jun­gen Obst­gar­ten. (Cur­ma­tu­ra, Ca­tiashu Tal).
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In diesen stei­ner­nen Mo­nu­men­ten wir­ken die gu­ten Wün­sche der Ah­nen zu­sam­men für ei­ne gan­ze Dorf­ge­mein­schaft. Ca­lu­ga­reni, ne­ben Is­tri­tza Berg).
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Irgendwie erreicht uns die al­te Bot­schaft, auch über Ge­ne­ra­tio­nen hin­weg. (Im Wald, auf ei­nem Hü­gel in der Nä­he des Ra­tesh­ti Klos­ters).
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Und nun lehnen wir uns ein­fach nur zu­rück und öff­nen un­se­re Sin­ne für die Spra­che der stei­ner­nen und doch so le­ben­di­gen Kreu­ze in Ru­mä­nien, wo auch im­mer wir ih­nen be­geg­nen.
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