urban_roma


von Grit Friedrich

gemalter Fotoapparat
gemalte Briefmarke
gemalte Romaflagge
gemaltes Foto
gemalter Fotoapparat
Fotos in Ausstellung Fotos in Ausstellung
Fotos: Grit Friedrich
gemalter Fotoapparat
„Roma Women Weaving Europe“ war eine Gruppenausstellung, die an zwei Orten Kunst von und über Romnija vorgestellt hat. Ein Teil der Arbeiten von Romakünstlerinnen war in den Büroräumen des ERIAC (The European Roma Institute for Arts and Culture e.V.) ausgestellt. Mit dabei einige Fotos aus der Sammlung urban_roma (Roma aus der Stadt), sie zeigen Frauen aus einem marginalisiertes Viertel in Bukarest. Ich traf Crina Marina Mureșanu und begleitete sie auch nach Jilava.
Crina Marina Mureșanu im Kreis mit Kindern sitzend
Foto: Grit Friedrich
gemalte Kinder mit Gitarre
Crina Marina Mureșanu sitzt zwischen Kindern und Jugendlichen auf dem Fußboden eines Kindergartens in Jilava, einer Gemeinde vor den Toren von Bukarest. Hier probt dreimal die Woche das 20köpfige Orchester Matias. Die Romaaktivistin unterstützt als Freiwillige die Arbeit dieser sozialen Nichtregierungsorganisation Matias, die Kindern professionellen und kostenlosen Musikunterricht ermöglicht.
Gruppe musizierender Kinder und Jugendlicher Gruppe musizierender Kinder und Jugendlicher Auszeichnungen
Fotos: Grit Friedrich
gemaltes lernendes Kind
Crina Marina Mureșanu „Vor einigen Jahre hat der Verein Matias in Jilava ein paar Mandolinen und zwei Gitarren als Spende bekommen. Heute haben diese Kinder über 200 Preise gewonnen. Einige lernen bereits an Musikschulen, jetzt wollen sie eine CD aufnehmen. Sie geben Konzerte mit rumänischer Musik, Romamusik und klassischer Musik. Ich versuche auch dafür Spenden zu finden. Der Verein Matias hat einen Kindergarten in der Romagemeinschaft. Die meisten Kinder hier sind Roma. Nachmittags bekommen die größeren Kinder hier Nachhilfe. Und es gibt Alphabetisierungskurse in der Nachbargemeinde Sintești, in einem zweiten Gemeinschaftszentrum.“
gemalte Sparbüchse
Hinterhof der Musikschule
Foto: Grit Friedrich
In Jilava und Sintești leben viele arme Romafamilien, außer dem Verein Matias, gegründet von einem baptistischen Pastor und seiner Frau, gibt es dort keine sozialen oder kulturellen Angebote. Crina Marina Mureșanu, die 1981 geborene Romni, kennt Armut und Ausgrenzung, sie wuchs in Ferentari auf, einem Bukarester Viertel, viele Menschen dort haben keine geregelte Arbeit.
gemalte Romafamilie
Crina Marina Mureșanu „Meine Mutter war Reinigungskraft in einem Kindergarten in Berceni. Sie brachte mich zur Schule, mich und meinen Bruder, allerdings in Berceni und nicht in Ferentari. Ich weiß nicht, ob wir beide hier sitzen und reden würden, wenn ich in Ferentari zur Schule gegangen wäre. Ich wurde zu Hause unterstützt, mit großer Sanftheit, ich hatte gute Lehrer und war völlig integriert. Zu Hause war ich Romni, aber ich konnte mich leicht überall anpassen.“
gemalte Schule
Familienfoto
Foto: Archiv Urban Roma/
Crina Marina Muresanu
Crina Marina Mureșanu begleitete ihre Mutter als Teenager in Bukarester Studentenwohnheime und half dort beim Saubermachen. Sie war gut in der Schule, wollte studieren und entschied sich für Politikwissenschaften. Heute arbeitet Crina Marina Mureșanu, nach vielen Jahren in verschiedenen NGOs, als Sozialarbeiterin. Doch wie entstand die Idee zum Archiv urban_roma? 2009 schrieb die junge Romaaktivistin gemeinsam mit Dr. Nicoleta Bițu, der Leiterin des Zentrums für Romani Studies an der Nationalen Hochschule für Politikwissenschaften und Verwaltung in Bukarest, einen Bericht für UNICEF über Teenagerhochzeiten in Rumänien. Das Land war junges EU-Mitglied und es gab viele Diskussionen über Kinderschutz.
gemaltes Foto
Crina Marina Mureșanu „Damals war ich in der Romacommunity Anfeindungen ausgesetzt, niemand kritisierte Nicoleta Bițu, sie war eine gestandene Aktivistin, aber mich. Sie sagten zu mir, Romafrauen reden nicht über diese Dinge. Es kam ihnen so vor, als ob ich als Rumänin über sie rede, als Gadje. Das war ein harter Moment für mich, denn ich wusste genau, was ich tat. Und dann habe ich gesagt, wartet mal, ich zeige euch Fotos meiner Mutter, und dann seht, ihr wie Roma aus Ferentari aussehen. Denn ich bin eine Romni aus diesem Viertel.“
gemaltes Fotoarchiv
Dieser Moment war die Geburtsstunde für das Archiv urban_roma von Crina Marina Mureșanu. Eine Sammlung von ca. 400 privaten Fotografien aus der eigenen Familie, Nachbarschaft und dem erweiterten Freundeskreis, aufgenommen überwiegend im 5. Bezirk von Bukarest, zu dem die Viertel Ferentari und Rahova gehören. Wo, wie in der Textilfabrik Aurora, die Mehrzahl der Arbeiterinnen Romafrauen waren. Viele verloren kurze Zeit nach dem Sturz von Ceaușescu ihre Arbeit und der soziale Abstieg eines ganzen Viertels begann.
gemalte Textilarbeiterinnen
Foto: Archiv Urban Roma/Crina Marina Muresanu
Crina Marina Mureșanu „Die Menschen haben mir ihre Fotos anvertraut, aber auch die Geschichten zu den Bildern. Das hat mich erstaunt und ich fand es wundervoll. Ich habe damals in der Romazeitschrift Nevi Sara Kali einen Artikel veröffentlich und das Echo war toll. Wir sind ja urbane Roma. Ich bekam viele gute Reaktionen, auch von Nichtroma. Ich habe über 50 Stunden Gesprächsprotokolle abgeschrieben, aber sie sind noch nicht veröffentlicht.“
gemalte Tonaufnahmen und Gesprächsprotokolle
Familienfoto Portrait telefonierendes Kind Gruppenfoto Kinder in Tracht Schulklasse
Fotos: Archiv Urban Roma/Crina Marina Muresanu
gemaltes Familienfoto
Crina Marina Mureșanu gehörte zu den ersten Bloggerinnen in der rumänischen Romacommunity. Und urban_roma wächst, das älteste Foto in der Sammlung stammt aus dem Jahr 1950 und zeigt eine Romafamilie aus Groapa Floreasca, das war ein Viertel im Norden von Bukarest, aus dem die Roma in den sechziger Jahren zwangsweise umgesiedelt worden sind. Die Fotosammlung reicht bis zum Ende der 80er Jahre und erzählt auch, welchen Beitrag Roma an der jüngeren Entwicklung von Bukarest hatten.
Familienfoto
Foto: Archiv Urban Roma/Crina Marina Muresanu
gemalte Romafahne mit Romafrau und Romamann neben der Fahne
Crina Marina Mureșanu “Ich denke, dass urban_roma ein feministisches Gemeinschaftsprojekt ist. Denn es gibt Geschichten der Frauen wieder, die nicht jeder kennt. Und die Leute erkennen sich häufig wieder in diesen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der kommunistischen Zeit. Alle hatten solche Fotos zu Hause. Mein Museum bewahrt auch Geschichten, die die anderen nicht erlebt haben, und die die Erfahrungen der Romafrauen spiegeln. urban_roma hat aber noch andere Ziele, ich sammle Geschichten der Roma, die ich den Roma dann wieder zur Verfügung stelle. Wir müssen uns in unserer Gemeinschaft kennen. Wir müssen die Entwicklung unserer Familien aufzeichnen, damit wir verstehen, wer wir sind.“
tanzende Frau Frau mit Kind Gruppenfoto
Fotos: Grit Friedrich
In Ferentari wurden diese Bilder noch nie in einem Ausstellungsraum gezeigt, denn es gibt keine Galerie dort, aber Crina Marina Mureșanu zeigt immer wieder Fragmente der Sammlung bei ihren Workshops. Sie möchte damit auch ein positives Selbstwertgefühl bei Romajugendlichen entwickeln, denn das Archiv entstand aus einer Identitätskrise heraus. Alltagsrassismus erlebt die Bukaresterin immer wieder. So musste sich ihr Sohn in der Schule anhören, dass „Zigeuner Geißeln der Gesellschaft sind“. Ein junger Nachbar, auch er Rom, wollte eine Stelle als Kellner und bekam zur Antwort vom Restaurantchef, ob er denn nicht in den Spiegel gesehen hätte. Einige urban_roma Fotos waren im vergangenen Sommer in einer Ausstellung über Romakunst in Berlin zu sehen, kuratiert von Anna Mirga-Kruszelnicka. Die stellvertretende Direktorin beim European Roma Institute for Arts and Culture e.V. erklärt, warum neben Malerei, Videokunst, Installation und Skulpturen in der Schau „Roma Women Weaving Europe“ auch ein Fragment aus dem Bukarester urban_roma Archiv gezeigt wird:
gemalte Romafahne mit den Jahreszahlen 2030, 2040 und 2050 welche mit einem Fragezeichen versehen sind
„Man hält Ferentari für gefährlich und es ist ein echtes Ghetto mit einer sehr schwierigen sozioökonomischen Situation. Und weil es so stigmatisiert ist, hat das Auswirkungen auf die Chancen der Menschen, die dort leben. Crina wollte eine andere Wirklichkeit zeigen, das Leben dort, die Feiern, den Alltag. Und sehr schnell wurde die wichtige Rolle der Frauen sichtbar. Sie erheben ihre Stimmen und versuchen eine bessere Zukunft für ihre Kinder und die ganze Gemeinschaft zu schaffen. Das ist eine sehr kraftvolle Aussage und spricht nicht nur für diese bestimmte Gemeinschaft, sondern steht für Romafrauen, die ihre Kultur bewahren und neu erschaffen und die ein Motor sind für soziale Veränderungen.“

Crina Marina MUREȘANU

Die Soziologin und promovierte Politikwissenschaftlerin arbeitet als Kulturarbeiterin/ Forscherin/ Sozialarbeiterin. Für Jugendliche und Kinder organisiert sie im Rahmen des MistoParty-Projekts Recycling- und Kreativitätsworkshops. Für den Verein Matias in Jilava arbeitet sie vor allem als Lobbyistin und organisiert Konzerte des Orchesters in Bukarest.

Links:

Fotografien im Archiv Urban_Roma (Auswahl)

Verein Matias in Jilava

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