Die Maramureş wird konserviert


Ein Interview mit Björn Reinhardt

Einweckglas
Frau mit Schafswolle und Kind
Gudrun Pauksch: Wir ken­nen uns seit über 20 Jah­ren. Als ich mich da­mals mit schwe­rer Ta­sche zu Euch ins Wein­tal ge­schleppt ha­be, war es dort ein biss­chen wie am En­de der Welt. Dun­kel, mit schlam­mi­gen We­gen, be­son­de­ren Men­schen, und tat­säch­lich so, als wä­re die Zeit ste­hen ge­blie­ben. Wie hat sich das Wein­tal ver­än­dert? Ist es heu­te noch be­sonders?
Björn Reinhardt: Wenn ich be­den­ke, wie viel sich die Welt in den letz­ten 20 Jah­ren ver­än­dert hat, sind die Aus­wir­kun­gen auf das Wein­tal ver­gleichs­wei­se ge­ring ge­blie­ben. Zu­erst sind vie­le Men­schen aus dem Wein­tal aus­ge­wan­dert, was na­tür­lich nicht zu über­se­hen war, da es ru­hi­ger wur­de. Dann be­gan­nen die ers­ten mit dem ver­dien­ten Geld zu­rück­zu­keh­ren und zu in­ves­tie­ren. Lei­der ha­ben sie sich an den so­ge­nann­ten mo­der­nen Häu­sern, die sie in West­eu­ro­pa ge­se­hen ha­ben, ori­en­tiert und ver­su­chen seit­dem, es ir­gend­wie nach­zu­bau­en, was nicht im­mer über­zeugt. Allein das tut manch­mal weh, mit­an­zu­se­hen, denn es ver­än­dert das Tal rein äu­ßer­lich, mal ganz ab­ge­se­hen da­von, dass sich die Men­schen na­tür­lich auch in­ner­lich ver­än­dert ha­ben und nicht mehr die sind, die sie vor der Ar­beits­su­che wa­ren. Ich glau­be ja fast, dass sie sich manch­mal selbst nicht mehr wie­der­er­ken­nen, wenn sie ehr­lich zu sich sind.
Frau in Tracht und Frau in moderner Kleidung
Trotzdem ist das Wein­tal im­mer noch be­son­ders, was nicht un­we­sent­lich da­ran liegt, dass wir bis heu­te kei­nen as­phal­tier­ten Weg be­kom­men ha­ben. Doch im Früh­jahr soll es - wie seit Jah­ren an­ge­kün­digt - nun los­ge­hen. Dann wird sich ver­mut­lich sehr vie­les ver­än­dern. Je­den­falls ha­be ich die­se Be­ob­ach­tung im­mer dort ma­chen müs­sen, wo die Stra­ße plötz­lich auch un­ge­be­te­ne Men­schen an­lockte.
Weg durch Berge
Gudrun Pauksch: Du hast mit dei­nen Fil­men vie­len be­son­de­ren Men­schen ent­lang des Wein­tals wun­der­ba­re Denk­ma­le ge­setzt. Ich den­ke da an Ilea­na, de­ren Ge­sicht ich auch heu­te noch oft vor Au­gen ha­be, und Ga­ga­rin, den et­was ver­rück­ten Er­fin­der und Vi­sio­när. Längst sind sie ver­stor­ben und mit ih­nen die al­te Zeit. Was se­hen wir heu­te in dei­nen Fil­men?
Filmrollen
Björn Reinhardt: Mit den all­mäh­lich "aus­ster­ben­den" au­ßer­ge­wöhn­li­chen Men­schen, die du an­sprichst und selbst noch im Wein­tal ken­nen­ler­nen konn­test, ist es tat­säch­lich für mich schwie­ri­ger ge­wor­den, wei­ter­hin los­zu­zie­hen, um sol­che Men­schen zu su­chen. Sie sind weg, und es ist end­gül­tig. Die von dir an­ge­spro­che­ne al­te Zeit muss ich nicht mehr su­chen, denn sie lässt sich nicht mehr in die­ser Tie­fe und Dich­te er­zäh­len. Die The­men än­dern sich zwangs­läu­fig, und ich kann mich schon da­rauf ein­stellen.
Mann mit Schaf
So habe ich die­ses Jahr ei­nen Film über den in Cleve­land le­ben­den ukra­ini­schen Cim­bal­spie­ler Ale­xan­der Fe­do­riouk ge­macht. Er stammt ja aus Ko­lo­mea in der Kar­pa­ten­ukra­ine, wo ich ihn auch an­läss­lich des 70. Ge­burts­ta­ges sei­nes Va­ters traf und film­te. Sei­ne Mu­sik ge­hört mit zum Schöns­ten, was tra­di­tio­nel­le Volks­mu­sik auch heut­zu­ta­ge voll­brin­gen und be­wir­ken kann.
Musikinstrument
Ich habe sie in vie­len mei­ner Fil­me er­klin­gen las­sen, bei­spiels­wei­se in der „Ru­the­ni­schen Tri­lo­gie“, und sie hat gro­ßen An­teil an der sug­ges­ti­ven Wir­kung, die mei­ne Fil­me aus­zeich­net. An­ge­sichts des schreck­li­chen Krie­ges in der Ukra­ine ist mir mit „Back to the roots“ ein Film ge­lun­gen, der auf be­glü­cken­de Wei­se zeigt, dass sich die ukra­ini­sche Kul­tur und Ge­schich­te von nie­man­dem zer­stö­ren las­sen wird, weil sie tief in den Men­schen ver­wur­zelt ist.
verwurzelter Mann
Ein weiterer Film, "Die letz­ten ih­rer Art", den ich die­ses Jahr ge­dreht ha­be, zeigt auch, dass neue We­ge ge­gan­gen wer­den kön­nen. Ob­wohl die deut­sche Min­der­heit in Ober­wi­schau (Vi­şeu des Sus), hier Zip­ser ge­nannt, un­wei­ger­lich aus­ster­ben wird, ha­be ich mit die­sem Film jun­ge Zip­ser por­trai­tiert, die mit un­ge­wöhn­li­cher Kraft und viel Selbst­be­wusst­sein eben nicht wie die Ka­nin­chen vor dem Bau sit­zen und ins Lee­re star­ren. Be­kannt­lich geht es im­mer ir­gend­wie wei­ter, an­sons­ten wür­den wir jetzt nicht so schön zu­sam­men­sit­zen und uns un­ter­hal­ten kön­nen. Die Fra­ge ist, ob das "ir­gend­wie" ge­nug Sinn macht, um es auch fil­misch dar­zu­stel­len. Und da muss ich aus Er­fah­rung sa­gen, dass mei­ne Pro­ta­go­nis­ten von frü­her wei­taus mehr Sub­stanz hatten.
Ivan mit Maultrommel
Gudrun Pauksch: Obcina, im­mer wie­der Ob­ci­na. Ob in dei­nen Fil­men wie z. B. "Kin­der­berg" oder dei­nem Buch the­ma­ti­sierst du im­mer wie­der die­se win­zi­ge ru­the­ni­sche Sied­lung auf dem Berg. Was hat dich so in den Bann ge­zogen?
Björn Reinhardt: Diese Frage lässt sich nicht mit ein paar Sät­zen be­ant­wor­ten, da ich ge­nau aus die­sem Grund min­des­tens drei Filme, vie­le Fo­to­gra­fien und Ro­ma­ne da­rü­ber ge­schrie­ben ha­be. Es ist, mit an­de­ren Wor­ten aus­ge­drückt, sehr kom­plex und be­trifft vie­le As­pek­te. Zu­erst hat es viel da­mit zu tun, dass dort ei­ne ukra­ini­sche Min­der­heit, die Ru­the­nen, leb­te – denn die Berg­sied­lung ist nicht mehr ganz­jäh­rig be­wohnt. Mich in­te­res­sie­ren schon im­mer am Ran­de von al­lem le­ben­de Men­schen, denn sie ha­ben ei­nen ganz an­de­ren Blick­win­kel auf die Welt.
Zwei Menschen in Tracht und moderner Kleidung
Um dorthin zu ge­lan­gen, kann man nicht ein­fach ins Au­to sprin­gen und zu ih­nen fah­ren. Es ist müh­sam, zwei oder drei Stun­den zu ih­nen auf 1000 Hö­hen­me­tern zu wan­dern. Man kommt dort an­ders an, als wie man los­ge­gan­gen ist. Dann be­geg­net mir dort oben ei­ne Gast­freund­schaft, die ich hier un­ten nicht mehr finde.
Berglandschaft
Aber es gibt noch et­was, das mich ge­ra­de­zu ma­gisch an­zieht: es ist ih­re na­tür­li­che Mu­si­ka­li­tät, die man nir­gends mehr er­le­ben kann, wie bei mei­nem ru­the­ni­schen Freund, dem au­to­di­dak­ti­schen Vi­o­li­nis­ten Ivan. Was er spielt und wie er es vor­trägt, muss man mit ei­ge­nen Au­gen und Oh­ren er­lebt ha­ben, um zu ver­ste­hen, wel­che Glücks­mo­men­te mög­lich sind.
Ivan mit Violine
Gudrun Pauksch: In deinen Fil­men gehst du sehr nah auf die Men­schen zu. Gefühlt tren­nen euch nur Zen­ti­me­ter. Sie er­zäh­len dir von ih­ren Sor­gen, dem schwe­ren Le­ben und auch schö­nen Din­gen. Wie ge­lingt es dir, die­se Nä­he zu schaf­fen?
Björn Reinhardt: Jeder, der bereit ist, zu­zu­hö­ren, kennt die­se Nä­he, von der du sprichst und die ich so­gar mit ei­ner Ka­me­ra er­rei­che. Ge­nau da­rü­ber, wie so et­was mög­lich ist, ha­be ich in mei­nem letz­ten Buch „Un­be­que­me Fil­me“ über 300 Sei­ten lang ge­schrie­ben. Al­so, wer da­ran in­te­res­siert ist, zu er­fah­ren, wie mir die­se Nä­he ge­lingt, soll­te sich die Freu­de be­rei­ten, die­ses Buch zu lesen.
Mann filmt anderen Mannn
Gudrun Pauksch: Als Bühnen­bild­ner und Fil­me­ma­cher bist du fast ein Uni­ver­sal­künst­ler, der zeich­net, schreibt und filmt. Kannst du uns et­was über dei­ne Bü­cher er­zählen?
Buch
Björn Reinhardt: Ich bin manch­mal ein ganz gu­ter Ge­schich­ten­er­zäh­ler, auch wenn es nicht rei­chen wür­de, um auf dem Je­maa el Fnaa, dem Platz in Mar­ra­kesch, wo Ge­schich­ten er­zählt wer­den, auf­zu­tre­ten. Ich habe mir dort an­ge­se­hen, wie die Men­schen an den Lip­pen die­ser be­gna­de­ten Ge­schich­ten­er­zäh­ler hän­gen. Und da ist mir der Ge­dan­ke ge­kom­men, we­nigs­tens et­was von dem zu ge­ben, was mir mit in die Wie­ge ge­legt wur­de. Schon al­lein mei­ne Fil­me und Fo­to­gra­fien er­zäh­len span­nen­de Ge­schich­ten, aber sie sind trotz­dem nur die Spit­ze des Eis­bergs der al­lem zu­grun­de lie­gen­den Er­leb­nis­se. Das war die Idee hin­ter mei­nem letz­ten Buch. Und so hat je­des Buch ei­ne aus­lö­sen­de Ur­sa­che, ein­fach auch, weil ich sehr viel er­lebe.
Gudrun Pauksch: Dein Haupt­au­gen­merk liegt aber auf den Fil­men? Wie vie­le sind es ei­gent­lich? Und wo kann man sie fin­den, um sie sich an­zu­sehen?
Filmstapel
Björn Reinhardt:Ich habe etwa 50 abend­fül­len­de Do­ku­men­tar­fil­me über Ru­mä­ni­en, Al­ba­ni­en, Ge­or­gi­en, Grie­chen­land und Kre­ta ge­dreht. Knapp drei­ßig ha­be ich jetzt für mein Buch "Un­be­que­me Fil­me" aus­ge­wählt, weil ich glau­be, dass sie wich­tig sind. Ein Dut­zend da­von sind auf di­ver­sen Film­fes­ti­vals prä­miert wor­den oder im Fern­se­hen ge­lau­fen. Um da­rü­ber hi­naus prä­sent zu blei­ben, ha­be ich ei­ne Home­pa­ge, die die­sen Fil­men viel Platz ein­räumt: www.maramures.de Un­ter mei­nem Na­men gibt es ei­nen YouTube-Ka­nal mit knapp 1.700 Abon­nen­ten. Die dort an­zu­se­hen­den Trai­ler sind zwi­schen 5 bis 10 Mi­nu­ten lang.
DVD-Hülle
Wer einen ganzen Film von mir se­hen möch­te, wählt sich dort oder auf der Home­pa­ge die Fil­me aus und gibt mir per E-Mail oder Whats­App Be­scheid, wel­che er se­hen möch­te. Sehr schnell be­kommt er dann von mir ge­gen ei­ne ge­rin­ge Be­zah­lung ei­nen Link, um ihn sich he­run­ter­zu­la­den. Oder er kauft DVDs, die ich zu­schicke.
Handy, Mail, Brief, Telefon und viele DVD
Gudrun Pauksch: Nicht zuletzt be­treibst du mit dei­ner lie­ben Frau Flo­ren­ti­na auch noch ein Gäs­te­haus. Was er­war­tet eu­re Gäs­te in die­sem Tal, weit ab vom städtischen Trubel?
Björn Reinhardt: In der Mara­mu­reş kann man noch sehr schnell au­then­ti­sches Le­ben ken­nen­ler­nen, ja fast für ei­ne ge­wis­se Zeit selbst erle­ben. Die Land­schaft bei uns im Wein­tal ge­hört zum Schöns­ten, was Ru­mä­ni­en zu bie­ten hat, wes­halb un­se­re Gäs­te viel wan­dern.
Kinder klettern
Björn Reinhardt: Na­tür­lich be­ste­chen die Ein­hei­mi­schen mit ih­rer ge­ra­de­zu be­din­gungs­lo­sen Gast­freund­schaft. Schnell kommt man in ein Ge­spräch, das nicht sel­ten mit ei­nem Glas Ţui­că wei­ter­geht und in ei­ne spon­ta­ne Freund­schaft mündet.
Gästehaus
Überall wird im Heu ge­ar­bei­tet, wer­den Scha­fe und Kü­he ge­hü­tet. Es gibt be­rühm­te Dör­fer mit Holz­kir­chen, Klös­tern und - nicht we­ni­ger be­rühmt - Holz­to­ren. Stän­dig ist ge­ra­de ir­gend­wo ein Volks­fest oder ein gro­ßer re­li­giö­ser Fe­ier­tag. Die Men­schen der Ma­ra­mu­reş ver­ste­hen sehr gut zu le­ben und zu fei­ern. Und nicht zu­letzt ha­ben wir ja die Mo­ca­niţa, die in­zwi­schen eu­ro­pa­weit be­rühmt ge­wor­de­ne Schmal­spur­bahn, die noch dampf­be­trie­ben fährt.
Holzkirche, Eisenbahn und Holztor
www.maramures.de
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