Bin ich gern am Meer? Eigentlich nicht! Mir sind die Berge lieber. Ich könnte nur meckern, das langsame Trödeltempo, die Hitze, die Mücken, der Wind, der Sand, welcher überall klebt, ständig muss man sich mit Sonnencreme oder Mückenzeugs einschmieren. Jeden Tag das Gleiche - das macht mir alles keinen Spaß.
Doch wenn wir unseren Freund in Rumänien treffen wollen, dann fahren wir eben mal von Poiana Marului für eine Woche nach Sf. Gheorghe ans Schwarze Meer.
Braila empfängt uns mit abziehenden Regen. Die Stadt ist sehr schön, viele alte Gebäude, ein tolles Theater, schöne Biergärten an der Donau, Kultur und ein entspanntes Flair.
Am Morgen fahren wir über die neue 2 km lange Straßenhängebrücke, welche Braila und das gegenüberliegende Ufer der Donau seit dem 06.07.23 verbindet. Ich habe das Gefühl, wir fahren ins Nichts, nur Nebel und Stille.
Auf dem Weg nach Macin sind noch die Folgen von schweren Gewitterzellen zu sehen. Leute berichten, Autos habe es teilweise 2 km weggeschwemmt.
Unser Auftrag ist noch, Wein aus dem Ahrtal in Deutschland, den wir die ganze Zeit spazieren fahren, bei Freunden in Hamcearca/ Caprioara abzuliefern und 10 Liter Wein aus Macin mit ans Schwarze Meer zu bringen. Punkt neun Uhr sind wir an der Grama in Macin. Der Zeitplan ist eng gestrickt, unser Schnellboot startet 13 Uhr in Mahmudia. Der Weinverkäufer war nicht pünktlich, aber wir haben uns gut mit den Wartenden unterhalten.
Weiter geht es durch die bizarre und schöne öde Landschaft der Dobrogea.
Der Ort Hamcerca/Caprioara ist ein kleiner Ort, die Häuser sind erbaut in traditioneller Bauweise.
Schnell den Wein aus Deutschland abgeliefert, Neuigkeiten ausgetauscht, Mist, wir müssen wieder los, nur Zeitdruck - typisch Deutsch.
Uns erreicht schon ein Anruf, wo wir bleiben, aber wir sind auf die Minute pünktlich. Das Auto stellen wir auf einem bewachten Parkplatz ab. Mit dem Speed-Boot, Schaluppe genannt, geht es zweieinhalb Stunden bei heftigstem Fahrtwind auf dem gleichnamigen Donaukanal Richtung Sf. Gheorghe. Ich wäre lieber mit der großen Fähre gefahren, aber die fährt nur noch dreimal die Woche. Diese Fähre ist schön langsam und ein Mikrokosmos für sich an Leuten, Gepäck und Tieren. Bei uns an Bord ist eine Großfamilie, Oma, Opa, Töchter, Schwiegersöhne, Enkel und alle in bester Laune. Tolle Menschen.
Unmengen an Getränken sind mit an Bord. In Sf. Gheorghe ist ALLES teurer, da alle Sachen per Schiff hertransportiert werden müssen. Ich konnte aber insgesamt eine hohe Teuerungsrate im ganzen Land feststellen, in den Speisekarten haben die Preise mehrere Aufkleber mit Abänderungen übereinander. Auch Nahrungsmittel wie Milch und Butter haben stark angezogen. Benzin, ach du meine Güte, Fleisch..., ich weiß gar nicht, ob alle Bevölkerungsschichten das stemmen können.
Der Ort empfängt uns mit den Resten eines abgezogenen Unwetters, alle Sandwege sind überschwemmt. Na, da freue ich mich ja schon ganz besonders auf die Tantarii (Mücken).
Wir treffen uns am Hafen mit Daria und Andreas. Sie besitzen jeder ein Haus im Ort. Man kann im Garten zelten oder sich ein Zimmer mieten. Das Haus von Andreas richtet sich mehr an Rucksacktouristen mit kleinerem Geldbeutel und hat einen einfachen Standard. Das Haus von Daria ist liebevoll eingerichtet und überrascht mit tollen Fotografien. Sie ist Fotografin und bereitet gerade eine Ausstellung in der Primarie (Rathaus) vor. Also liebe Reisende, merkt euch den Namaste-Garten von Daria und Andreas.
Abends gehen wir zum Strand, schließlich geht ja heute noch der Supermond auf, der größte des Jahres. Am Horizont liegen seit Monaten die Getreide-Schiffe wie eine leuchtende Perlenkette aufgefädelt und warten.., ja auf was?
Über den Ort selber bin ich mir nicht so im Klaren. Einerseits hat er sich mit Restaurants, Pensionen und Einkaufsmöglichkeiten auf Touristen eingestellt, andererseits bröckelt aber die interne Infrastruktur. Apotheke - nur noch zwei Stunden in der Woche, kein Tierarzt mehr, kein Geldautomat, die extra gebaute Touristeninformation geschlossen, dies deckt jetzt die Primarie mit ab. Angeblich wohnen ca. 1000 Menschen hier, im Winter aber ziehen sich viele in ihre Zweitwohnungen in Braila oder Mahmudia zurück.
Der Ort ist quadratisch angelegt und Verbrenner-Auto frei. Kutschen sind nur ganz selten zu sehen. Gefühlt hat hier jeder einen durch ein Förderprogramm gesponserten Elektrotransporter, der leise durch den Sand summt und Baumaterialien hin- und hertransportiert. An fast jedem Haus wird gewerkelt. Jedes Jahr findet hier im Ort im August das internationale Intependent-Filmfestival Anonimul statt.
Im Rückblick muss ich für den Ort aber eine Lanze brechen. Der weiße, naturbelassene 30 km lange Sandstrand reicht bis nach Sulina. Hier findet jeder ein Plätzchen. Vom Ort ist es ca. eine viertel Stunde zu laufen, es fahren aber auch Jeeps mit Hänger, p. P. 5 Lei.
Das Klima ist unverkrampft und einfach, das Flair eines Fischerdorfes ist noch vorhanden und die Urlauber passen sich dem an, getreu dem Motto: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“ Sehen und gesehen werden - Fehlanzeige, was ich sehr gut finde.
Im Ortskern gibt es einen herrlichen Biergarten. Auch das ist ein Mikrokosmos. Einheimische und Urlauber treffen hier zusammen. Abends werden wichtige Fußballspiele auf eine Leinwand übertragen, Musik läuft, es wird getanzt, Bier und Wein getrunken. So haben wir zwei Musiker aus Wien bzw. Leipzig kennengelernt. Erst haben sie was Deutsches gehört und dann noch sächsisch! Ei verpipsch.
Ja, was kann man denn nun den lieben langen Tag machen außer Strand, Essen, Trinken, Lesen, Skat spielen und das alles wieder von vorne?
Man kann geführte Exkursionen und Ausflüge buchen, z. B. zum Pădurea Letea. Das ist der am nördlichsten gelegene subtropische Wald Europas und das älteste Naturreservat Rumäniens (Teile davon seit 1930). Das Reservat ist 5246 ha groß, 2825 ha stehen unter strengem Naturschutz. 70 % der Tierarten des gesamten Biosphärenreservats finden sich im Pădurea Letea. Der Ort Letea ist 400 Jahre alt, die ca. 2000 Einwohner werkeln viel im Eigenanbau, haben Kühe und Pferde und fischen.
Wir haben uns aber für eine Exkursion in den Caraorman-Wald nebst gleichnamigen Ort entschieden, Dauer ca. sechs Stunden. Der Landstreifen Caraorman ist eine 18 km lange Sandbank, max. 8 km breit und 7000 ha groß, wovon 2250 ha eine streng geschützte Zone sind. Im westlichen Teil der Sandbank befindet sich der Caraorman-Wald. Der Ort selber ist 3,5 km lang und 500 m breit. Die Bevölkerung ist ukrainisch.
In Caraorman stehen verfallene Wohnblöcke, hier sollte zu Ceaușescus Zeiten eine Glasfabrik mit den dazugehörenden Wohnblöcken entstehen. Das Vorhaben wurde aber nie fertig gestellt.
Der Caraorman-Wald ist ein Eichenwald mit fast undurchdringlichem Busch und teilweise beweglichen Sanddünen. Sein Name kommt aus dem Türkischen und bedeutet „Schwarzer Wald“. Hier sind viele Kletterpflanzen, vierhundertjährige Eichen von teilweise 25 m Höhe, Ulmen, Weiden, Espen, Erlen und Mooreschen zu entdecken. Am Himmel sind Seeadler und Kolkraben zu beobachten. Eine Mitfahrerin übersetzt für uns ins Englische.
An den Haltepunkten sind sehr viele Pickups und Touristen, ein wahres Begängnis herrscht auf den Sandwegen.
Zurück im Ort gibt es Mittagessen im Casa Pescarului. Auf dem Weg nach Sf. Gheorghe wird wieder viel geknipst. Seerosen, Kühe, Schilf und natürlich Pelikane. Die Dame hinter mir schaut nicht auf, sie ist wohl in ihr Smartphone reingefallen. Der Verkehr auf dem Kanal hat stark zugenommen.
Unser Urlaubsort erwartet uns. Ich weiß nicht so richtig, was ich von diesem Ausflug halten soll, ich habe mir etwas anderes vorgestellt. Mehr so eine Schleichfahrt, mal eine viertel Stunde Beobachtungen durchführen, sich austauschen, Stille, Wind, Geräusche..., aber wir sind ja auch bloß Touristen unter Touristen, die ein Ausflugspaket gebucht haben.
Aha, morgen kommt die Müllabfuhr. Die Säcke werden vors Haus gelegt und bei Abholung wird ein neuer Sack in den Zaun geklemmt. Die Kühe schauen schon mal nach und nachts gehört der Ort sowieso den Hunden und Katzen.
Der Biergartenbesuch abends darf natürlich nicht fehlen. Gemeinsam reisen wir am nächsten Tag per Schnellboot mit unseren kennengelernten Musikern ab. Und wer ist noch an Bord? Unsere Großfamilie von der Hinfahrt, was für ein Zufall!