Mit den Wolken auf Augenhöhe


Făgăraș 2023


von Stefan Kossatz

Berge
6. Juni
Wieder ein­mal wol­len wir, Bert und Ste­fan, nach Ru­mä­ni­en in die Ber­ge fah­ren. Unser Ziel soll das Fă­gă­raș-Ge­bir­ge sein, wel­ches Trans­sil­va­nien von der Wa­la­chei trennt. Un­ser Eu­ro­ci­ty nach Bu­da­pest fuhr um 9:00 Uhr von Ber­lin ab. Die Fahrt ver­lief wie im­mer oh­ne Pro­ble­me, wir ka­men je­doch mit 30 Mi­nu­ten Ver­spä­tung in Bu­da­pest Nyu­ga­ti (West­end) an. Von dort ging es vom Ke­le­ti-Bahn­hof (Ost) wei­ter nach Ru­mä­ni­en. Auch hier durf­ten wir 25 Mi­nu­ten spä­ter ab­fahren.
Über Brașov ging es zu un­se­rem Aus­gangs­punkt Ar­pa­șu de Jos. Ich hat­te te­le­fo­nisch ei­ne Pen­sion für uns re­ser­viert. Da sie auch Gas­tro­no­mie hat­ten, konn­ten wir den An­rei­se­tag mit Pa­lin­ca und gu­tem Es­sen ab­schließen.
8. Juni
So erreich­ten wir aus­ge­ruht und ge­sät­tigt Vic­to­ria und check­ten dort in ein Ho­tel ein. Es soll­te un­se­re letz­te bes­se­re Un­ter­kunft wer­den, be­vor wir ins Fă­gă­raș ein­steigen.
Bett
Wegqweiser
9. Juni
Heute geht es in die Kar­pa­ten. Im Ho­tel konn­te ich je­man­den or­ga­ni­sie­ren, der uns für 20 Lei bis zum En­de der as­phal­tier­ten Stra­ße fuhr. Hier stie­gen wir aus und lie­fen zu Fuß wei­ter, bis wir auf das ro­te Drei­eck tra­fen. Un­ter­wegs be­geg­ne­te uns ein Ge­län­de­wa­gen, in wel­chem die Che­fin der Po­dra­gu-Hüt­te saß. Mit ihr hat­te ich be­reits von zu Hau­se aus te­le­fo­niert, um mich nach den Hüt­ten Tur­nu­ri und Po­dra­gu zu er­kun­di­gen. Sie sprach zum Glück deutsch und teil­te uns mit, dass sie ge­ra­de den Ca­ba­nier der Tur­nu­ri­hüt­te ab­ge­setzt hat­te. Die Po­dra­gu Hüt­te wä­re noch ge­schlos­sen, je­doch wür­de der An­bau mit dem Win­ter­quar­tier im­mer of­fen ste­hen. Mit die­sem Wis­sen er­reich­ten wir ge­gen 11 Uhr den Ein­stieg zur Ca­ba­na Tur­nuri.
Wasserfall
Beim Aufstieg erin­ner­te ich mich an den Be­richt von Chris­tian Neff im Ru­mä­ni­en­ad­vents­ka­len­der 2016 und des­sen Auf­stieg zum Mol­do­vea­nu auf dem­sel­ben Weg. Na ja, nun sind wir an der Rei­he. Da­mals hat es die Brü­cken durch star­ke Nie­der­schlä­ge weg­ge­schwemmt. Die ers­te Brü­cke war in­takt, zwei Bä­che muss­ten wir zu Fuß durch­que­ren. Wir frag­ten uns, ob hier je­mals Brü­cken vor­han­den ge­we­sen sind? Aber wir konn­ten un­ter­wegs schö­ne Was­ser­fäl­le be­stau­nen. Die Schnee­schmel­ze in den Ber­gen muss­te ge­ra­de in vol­lem Gan­ge sein.
Mann überquert Fluss auf einem Baum
Rucksäcke
Flußüberquerung
Gebirgsbach
Gegen 15 Uhr er­reich­ten wir die Ca­ba­na Tur­nu­ri (1520 m). Im Wald zu­vor ha­ben wir tat­säch­lich den Hüt­ten­wirt an­ge­trof­fen und noch vor der zwei­ten Bach­über­que­rung über­holt. Kurz vor der Ca­ba­na muss man den Po­dra­gu-Bach noch ein­mal durch­lau­fen. Hier em­pfiehlt es sich we­gen der vie­len Stei­ne mit San­da­len durch das Was­ser zu laufen.
Füße im Wasser
Gebirgshütte
Mann im Fluss
Gebirgsbach
Anderthalb Stunden nach un­se­rer An­kunft er­reicht auch der Hüt­ten­wirt die Ca­ba­na und gab uns ein Zim­mer. Wie die Ca­ba­na Po­dra­gu hat auch die Ca­ba­na Tur­nu­ri ei­nen Raum, der im­mer ge­öff­net ist. Bis auf ein paar Wald­ar­bei­ter, wel­che die Brü­cke ober­halb der Ca­ba­na re­pa­rier­ten, wa­ren wir die ein­zi­gen Gäste.
Brücke und Werkzeuge
Gebirgshütte im Schnee
Gebirgslandschaft
Gebirgssee
10. Juni
Heute wollen wir über die frisch re­pa­rier­te Brü­cke wei­ter zur Ca­ba­na Po­dra­gu auf­stei­gen. Das Wet­ter zeigt sich sehr durch­wach­sen. Bei et­wa 1700 Hö­hen­me­ter ver­las­sen wir den Wald und se­hen vor uns die ers­ten Schnee­fel­der. Sie wer­den im­mer grö­ßer je nä­her wir kom­men und ei­ni­ge müs­sen wir auch über­que­ren. Zwei Wan­de­rer kom­men uns ent­ge­gen. Sie er­zäh­len uns, dass sie vom Mol­do­vea­nu kom­men und in der Ca­ba­na Po­dra­gu über­nach­tet ha­ben. Nach et­wa zwei­ein­halb Stun­den er­rei­chen auch wir die Po­dra­gu-Hüt­te (2136 m) und stel­len un­ser Ge­päck in das Win­ter­quar­tier.
Schnee
Hier oben ist noch reich­lich Schnee vor­han­den und der La­cul Po­dra­gu ist kom­plett mit Eis be­deckt. Aber man sieht, dass die Schnee­schmel­ze im vol­len Gan­ge ist. Die Nacht wird recht frisch hier oben, doch es ist ein ster­nen­kla­rer Him­mel, wie man ihn nicht al­le Ta­ge sieht.
Schneefelder im Gebirge
Felswand mit Schnee
Wegweiser
11. Juni
Heute wollen wir zum Mol­do­vea­nu und zum Re­fu­giul Por­ti­ța Viș­tei. Ge­gen 7:30 Uhr star­ten wir bei schöns­tem Wet­ter hi­nauf zum Po­dra­gu-Sat­tel (2301 m). Hier en­det das ro­te Drei­eck und wir tref­fen auf das ro­te Band. Un­ter­wegs müs­sen wie­der Schnee­fel­der um­gan­gen oder über­quert wer­den. Das ge­schieht mit viel Kon­zen­tra­tion und sehr lang­sam. Mein gu­tes Schuh­werk und die Stö­cke ge­ben mir den er­for­der­li­chen Halt.
Wanderschuhe und Stöcke
Die Moldoveanu-Gruppe mit dem nörd­li­chen Viș­tea ma­re (2527 m) und Mol­do­vea­nul (2544 m) süd­lich da­von ha­ben wir die gan­ze Zeit wäh­rend des Auf­stie­ges im Blick. Al­ler­dings neh­men die Schnee­fel­der auch viel Zeit in An­spruch. Aber die Ta­ge sind im Juni lang und wir wol­len ja auch in den Ber­gen über­nach­ten. Ge­nau 15 Uhr er­rei­chen wir den Viș­tea Ma­re. Mit ei­ner See­hö­he von 2527 m ist er der dritt­höchs­te Berg Ru­mä­niens.
Berggipfel
Plötzlich kommt die Son­ne raus und es ist wun­der­schön mit den Wol­ken auf Au­gen­hö­he zu sein. Da sich ge­nau im Durch­stieg zwi­schen den bei­den Gip­feln Viș­tea Ma­re und Mol­do­vea­nu ei­ne auf­ge­türm­te Schnee­wand be­fin­det, blei­ben wir hier und ma­chen Pau­se. Die Aus­sicht ist gran­di­os und kei­ne Wol­ke trübt un­se­re Sicht. Ob­wohl vie­le Ru­mä­nen über die Schnee­wand klet­tern, ent­schei­den wir uns da­ge­gen. Au­ßer­dem ken­nen wir ja den Mol­do­vea­nu be­reits.
Sonne vor Bergen
Männer auf dem Gipfel
Schneefelder
Felsen mit Schnee
Nach etwa einer drei­vier­tel Stun­de be­gin­nen wir mit dem Ab­stieg und er­rei­chen ge­gen 17 Uhr Por­ti­ța Viș­tei (2315 m). Ei­gent­lich war ge­plant am nächs­ten Tag nach Va­lea Sâm­be­tei ab­zu­stei­gen. Dort war ich schon und hab auch da­von im Ad­vents­ka­len­der 2017 be­rich­tet.
Auf der Sei­te von Kar­pa­ten­wil­li fand ich fol­gen­den Hin­weis: „Wer hier im Rea-Tal ei­nen An- oder Ab­marsch plant, soll­te auf ei­nen lan­gen Wald­spa­zier­gang vor­be­rei­tet sein, denn bis zum ers­ten klei­nen Dorf Sla­ti­na sind es et­wa 35 km"
Wanderer
Das ist von hier oben aus ei­ne gro­ße Stre­cke. Aber Wil­li er­wähn­te auch in sei­nem Be­richt das Wort „Traum­ziel". So be­schlos­sen wir, dass wir am nächs­ten Mor­gen in das Tal Va­lea Rea ab­stei­gen wol­len. Vor­her soll­te ich die Auf­ga­be der Was­ser­fla­schen auf­fül­len über­neh­men. Da der See Ie­zer Tri­un­gu­lui als nächs­te Was­ser­stel­le weit im Tal­kes­sel des Va­lea Rea lag, ent­schied ich mich da­zu, den Schnee hier oben ein­zu­sam­meln und da­raus dann Tee zu ko­chen. Am nächs­ten Mor­gen wür­den wir reich­lich Was­ser beim Ab­stieg fin­den.
Fluss
Schutzhütte
Berge
Berge
12. Juni
Meine Ausrüstung hat sich bei der Kar­pa­ten­wan­de­rei gut be­währt. Auf mei­ner auf­blas­ba­ren Iso­mat­te ha­be ich wun­der­bar ge­schla­fen. Wir ver­las­sen nun den Kamm­weg und stei­gen auf dem ro­ten Drei­eck ab ins Va­lea Rea. Der obe­re Teil des We­ges ist von gro­ßen Schnee­fel­dern be­deckt, die aber im­mer fla­cher wer­den und vor al­lem we­ni­ger wer­den, je tie­fer wir ab­stei­gen. Bald hö­ren wir das Rau­schen des obers­ten Was­ser­falls, den wir dann auch nach ei­ni­ger Zeit wei­ter un­ten ein­se­hen kön­nen. Die Schnee­fel­der oben spei­sen den Bach mit dem Schmelz­was­ser und die Was­ser­fäl­le sind zu die­ser Jah­res­zeit voll.
Holzhütte in einem Talkessel
Wasserfall
Wasserfall
Von oben können wir die Stâ­nă Bur­nei se­hen. Auf un­se­rem et­wa drei­stün­di­gen Ab­stieg von Por­ta Viș­tei bis zur Stâ­nă kom­men wir an ei­ni­gen Was­ser­fäl­len vor­bei. Der Weg hat sich wirk­lich ge­lohnt, die Aus­bli­cke sind wun­der­schön.
Im Tal an­ge­kom­men se­hen wir al­le 7 Was­ser­fäl­le von ei­nem Stand­ort aus. Es ist ein traum­haf­ter Blick und Wil­lis Be­schrei­bung von ei­nem „Traum­ziel“ ist voll zu­tref­fend.
Traumziel als Schild
Ab hier beginnt der Forst­weg. Es fängt an zu reg­nen. Wenn der Re­gen auf­hö­ren soll­te, kön­nen wir auf ei­ner der schö­nen Wie­sen am Weg über­nach­ten und ein schö­nes La­ger­feu­er ma­chen. So sind mei­ne Ge­dan­ken und Wün­sche. Aber es hört bis zum frü­hen Abend nicht mehr auf mit reg­nen. Al­les ist nass.
Wir machen mehrere Pau­sen auf den Rast­plät­zen der Forst­ar­bei­ter. Aber nie­mand ist an­we­send. Auf ein­mal se­hen wir ein Forst­haus. Rauch steigt auf und es ist tat­säch­lich je­mand da. Wir fra­gen, ob wir hier über­nach­ten kön­nen. An­drei, ein Wald­ar­bei­ter sagt mir, dass der Förs­ter dies ent­schei­det und dass die­ser in ei­ner Stun­de kom­men soll. Aber nach 10 Mi­nu­ten sagt An­drei „Sucht euch ein Bett aus, der Chef sagt eh nichts. Geht rein, legt ein paar Holz­stü­cke in den Ka­chel­ofen, dass ihr eu­re durch­näss­ten Kla­mot­ten trock­nen könnt“. Als spä­ter der Förs­ter kommt, freut er sich über uns als Gäs­te und wir re­den lan­ge mit­ein­an­der.
Sachen trocknen am Ofen
Mann sitzt neben Ofen
Zimmer mit Ofen und zwei Betten
13. Juni
Nachdem wir in rich­ti­gen Bet­ten aus­ge­schla­fen ha­ben, be­kom­men wir noch Früh­stück, ver­ab­schie­den uns und wan­dern wei­ter. Wie­der setzt Re­gen ein. Doch end­lich fährt ein Au­to in un­se­re Rich­tung und nimmt uns bis zur Bus­hal­te­stel­le mit. Di­rekt da­ne­ben ist ein Ma­ga­zin Mixt. Dort kau­fen wir uns Bier und er­fah­ren, dass 13 Uhr ein Bus nach Pi­tești fährt. So en­det un­se­re Berg­tour um 10:30 Uhr im Ma­ga­zin in Sla­ti­na und ist so­gleich die längs­te Berg­tour, die ich je in den Kar­pa­ten un­ter­nom­men habe.
Männer sitzen an einem Tisch
Pünktlich 13 Uhr kommt der Bus und in Pi­tești fin­den wir ei­ne gu­te Über­nach­tung und keh­ren abends in ei­nem preis­wer­ten Res­tau­rant ein.
Kleeblatt
Ich beglück­wünsche al­le, die auch in die­sem Jahr den höchs­ten Berg in den ru­mä­ni­schen Kar­pa­ten be­stie­gen ha­ben und ha­be hof­fent­lich mit die­sem Be­richt zu­min­dest den geo­gra­fi­schen Hö­he­punkt des dies­jäh­ri­gen Ad­vents­ka­len­der ge­setzt.
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