Weihnachten - das Fest der Versöhnung

Andacht zum Heiligen Abend

"Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens."

(aus dem Evangelium nach Lukas)

Ehrwürdige Väter und geliebte Gläubige,
liebe Leser des Rumänienadventskalenders.

Der Heiland ist geboren. Danket Gott, danket Gott.

Wir sind erfüllt von unaussprechlicher Freude, dass wir in Frieden und Gesundheit, und jeder in seiner Tradition, wieder die zweithöchste Feier der Christenheit begehen dürfen: das Geburtsfest Jesu Christi. Dies ist ein glaubwürdiges Zeugnis gegenüber der Welt, dass wir alle den gleichen Herrn und Erlöser haben. Für uns Menschen und zu unserer Erlösung ist er herabgekommen vom Himmel und Mensch geworden. Für uns ist er freiwillig in den Tod am Kreuz gegangen. Er ist auferstanden und aufgefahren zum Vater im Himmel, von Dem aus uns der Heilige Geist zukam.

Meine geliebten geistlichen Kinder,
ich habe zu Beginn dieser Andacht aus dem Evangelium des Lukas zitiert. Vor dem angeführten Hymnus der himmlichen Heerscharen heisst es dort: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids." Durch die geistliche Verbundenheit im Glauben und in der Liebe, die uns aneinander und an Christus bindet, sind wir zu Brüdern und Schwestern geworden. Diese geistliche Verbundenheit lässt sich mit nichts vergleichen; sie ist stärker als Blutsverwandtschaft und stärker als der Tod. Erinnern wir uns daran, dass die ersten Christen ihr Hab und Gut verkauften, um einem jeden zu geben, was er nötig hatte. (vgl. Apostelgeschichte 4, 34).

Die frühen Christen lebten in so starker Einheit und Harmonie, dass "die Gemeinde der Gläubigen ein Herz und eine Seele war; und nicht einer nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam" (Apostelgeschichte 4,32). Dies ist das Ideal des christlichen Lebens: dass jede christliche Gemeinschaft und jede Gemeinde eine Familie von Gläubigen bildet, die sich so sehr lieben, dass jeder bereit ist, alles für seinen Nächsten zu opfern. Doch wie weit sind wir von diesem Ideal entfernt. Viele sind sich dessen nicht einmal mehr bewusst. Andere halten das schlicht und ergreifend für utopisch. Und wie können wir Frieden und Harmonie in unseren Pfarreien, Familien und der Welt erwarten, wenn die meisten Christen sich nicht darum bemühen, Christus wirklich nachzufolgen, sondern nur Namenschristen sind? Nur in Christus können wir wirklich lieben. Denn zu lieben bedeutet Selbstverzicht, freilich nicht aus der Freude daraus, uns selbst zu quälen, sondern um die für uns zu gewinnen, die uns nicht verstehen oder sogar hassen.

Oft beklagen wir uns, dass unsere Nächsten uns nicht verstehen oder hassen. Doch fragen wir uns einmal: Lieben wir sie denn wirklich? Sind wir imstande, jene, die uns hassen, "Bruder" oder "Schwester" zu nennen? Verzeihen wir alles um Christi willen? Wenn wir ehrlich gegenüber uns selbst sind, dann werden wir feststellen, dass in vielen Auseinandersetzungen, die wir mit unseren Nächsten erleben, die Schuld oder wenigstens ein Teil davon bei uns liegen, dass also auch wir daran schuld sind. Und auch wenn wir einmal absolut unschuldig sind, was sehr selten vorkommt, dann erlaubt uns doch unser Glaube und die Liebe zu unserem Erlöser Christus nicht zu hassen. Warum? Weil wir von Gott dem Herrn die Kraft empfangen haben, sogar unseren Feinden zu vergeben, wie auch unser Herr Jesus Christus seinen Feinden vergeben hat und auch jetzt uns allen vergibt, die wir so viel sündigen. Und wenn Er uns vergibt, dann haben auch wir zu vergeben.

Wir dürfen nie vergessen, dass wir die besondere Kraft zur Vergebung in uns tragen, an die wir immer appellieren müssen, wenn ein Streit in der Familie, in der Gemeinde oder in der Gesellschaft ausbricht. Doch wie aktivieren wir diese Kraft zur Vergebung in uns? Gewiss durch fleißiges Beten, das unsere Seele anrührt, weil wir immer wieder vom Bösen angezogen und verführt werden; auch dadurch, dass wir für jene persönlich und im Gottesdienst beten, die uns ärgern und uns hassen, und zwar mit dem innigen Wunsch, dass Gott ihnen vergebe und sie vom verkehrten Weg abbringe; besonders auch durch das Fasten für einige Tage oder Wochen, um Frieden mit uns selbst zu finden und darüber hinaus auch innerlich darauf zu hoffen, dass Gott wirkt und die Herzen aller Menschen zum Guten verwandelt. Ein großer Geistlicher verkündigt uns mit den Worten: "Wenn du willst, dass Gott dir einen Wunsch erfüllt, dann bete zuerst für deine Feinde. Bete so: 'Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich Deines Knechtes .... und erbarme dich auch über mich armen Sünder.' Sag dies mehrere hundert Mal am Tag mit demütigem Herzen."  Wir sollten nicht vergessen, dass Gott nicht in Eile handelt wie wir. Er vergilt jedem nach seinen Taten. Doch auch dies mit Geduld. Vor allem dann, wenn wir nicht daran denken und es nicht erwarten! Besonders wichtig ist im Blick auf die Auseinandersetzungen zwischen Menschen, dass der Gläubige oder die Gläubigen auf alle Fälle Streit vermeiden, indem sie sich bei Konflikten selbst  zurücknehmen. Unser Erlöser hat sich nicht dem Bösen entgegengestellt und nicht mit seinen Gegnern polemisiert, sondern aus freien Stücken Seinen Tod akzeptiert, um gerade durch Seinen Tod das Böse wie auch den Tod zu überwinden und am dritten Tage aufzuerstehen. Wenn wir Christus wirklich auf unserer Seite haben, weil wir uns darum bemühen, uns mit Ihm zu identifizieren, dann können wir nur Sieger sein, auch wenn unser Sieg in den Augen der Anderen als Schwäche erscheint.

Meine geliebten geistlichen Kinder,
vor über 500 Jahren starb der "rechtgläubige Fürst Stefan der Große und Heilige". Zwischen 1457 und 1504 war Stefan Fürst der Moldau. Es ist überliefert, dass er 47 Kirchen und Klöster stiftete. Er hatte Beziehungen zu Papst Sixtus IV., der den tapferen Herrscher wegen seines Einsatzes zur Verteidigung des gesamten europäischen Christentums "Schild der Christenheit" nannte. Das Schisma von 1054 war nicht so sehr von kirchlichen und theologischen Faktoren ausgelöst, sondern mehr von politischen und wirtschaftlichen Faktoren. Leider haben theologische Kontroversen zwischen den Christen immer existiert, doch haben sie nur dann zu Spaltungen und definitiven Brüchen geführt, wenn politische und wirtschaftliche Elemente hineingespielt haben. Heute hat die Politik, indem sie sich dem Glauben immer mehr entfremdet, keinen direkten Einfluss mehr auf die Kirchen. Im Gegenteil: die wirtschaftliche und politische Globalisierung der Welt mit all ihren negativen Folgen und Aspekten bildet geradezu eine neue Chance und Verpflichtung für die Einheit der Christen. Die heutige Welt ähnelt in vieler Hinsicht jener von vor 2000 Jahren, als das Römische Reich seine Grenzen in weite Teile Europas, nach Asien und Afrika ausdehnte, wodurch die Verbreitung und das Wachsen des Christentums begünstigt wurde. Es wäre eine unverzeihliche Sünde, wenn die Kirchen heute den neuen historischen Kontext ignorieren und ihre Bemühungen im Blick auf ihre Einheit nicht intensivieren würden. Gerade die Kirchen sind von Gott berufen, die Menschen zu verbinden und zu vereinigen.

Ihr werdet Euch fragen: was können wir tun zur Annäherung und Vereinigung der Kirchen? Sehr viel! Zuerst müssen wir unser Bewusstsein für das Drama der Spaltung zwischen den Christen schärfen und täglich für ihre Versöhnung beten. Gewiss ist jede Einheit eine Gabe Gottes. Doch diese Gabe muss mit offenen Herzen angenommen werden. Und das Herz öffnet sich durch das Gebet. So sollen wir nach Kräften um unsere Einheit beten. Und wir sollen das Beten mit Fasten verbinden. Denn der Dämon der Spaltung wird nur durch Gebet und Fasten besiegt (vgl. Markus-Evangelium 9,29). Seien wir offen gegenüber unseren Nächsten und den anderen Konfessionen, indem wir sie einerseits am geistlichen Reichtum der Orthodoxie teilhaben lassen und andererseits von ihnen lernen, worin sie uns überlegen sind.

Indem ich zu unserem Erlöser Jesus Christus bete, dass Er Eure Familien und besonders die Kinder segne, dass er Euch Gesundheit und alles gebe, was der Seele und dem Leib nützt, wünsche ich Euch, dass Ihr das Heilige Fest der Geburt unseres Herrn in Frieden und mit Freuden feiert.

Der Heiland ist geboren. Danket Gott, danket Gott.
Ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Euer Euch stets wohlgesonnener und immer für Euch zum auferstandenen Herrn betender

† SERAFIM
Erzbischof und Metropolit

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