Mit dem Herzen sehen...

von Nina May

...können Mihai und Iulia Negrea, seit ihre ersten vier Kinder eines Tages vor der Türe standen. Hungrig und in zerlumpten Kleidern kamen sie diesmal nicht nur zum Essen in die warme Klosterküche, sondern wollten gar nicht mehr nach Hause. Die Zwillinge Romulus und Remus, die kleine Ioana und Nesthäkchen Alex, Halbwaisen aus dem Dorf Podu Cosnei in der armen Moldau Region im Norden Rumäniens, gestanden mit leiser Stimme, dass sie schon seit Tagen im Stall schlafen mussten, in eisiger Kälte ohne Decken oder Matratze. Der Vater hatte sich ein Freudenmädchen angelacht und belegte mit diesem den einzigen Wohnraum. Der resolute Abt des kleinen Klosters räumte also sein Gästezimmer und Ehefrau Iulia steckte die Kinder erst einmal in die Wanne. Dann saßen die vier Kleinen in dicke Handtücher gewickelt auf den Betten — aber was sollte man ihnen nur anziehen? Die alten dreckigen Lumpen? Schnell wurde die erwachsene Tochter in die Stadt geschickt, um vier Trainingsanzüge und Hausschuhe zu kaufen. „Nun kannst du schon mal üben, bis die eigenen Enkel kommen“, sagte der Abt zu seiner Frau, und sie waren sich ohne Worte einig, dass die Kinder vorerst bleiben. Mit feuchten Augen erinnert sich der ehemalige Militärpfarrer, wie sein Kinderprojekt damals unfreiwillig begann...
Heute wohnen neun Kinder im Pfarrhaus des Klosters von Podu Cosnei, die alle durch das Raster der staatlichen Fürsorge fallen. Sie leben mit Vater Mihai und Mutter Iulia wie in einer Großfamilie zusammen, besuchen Schule oder Lehre, helfen im Haushalt und dürfen Freunde zum Spielen einladen. Geschäftsleute aus der Region spenden ab und zu Kleider, ein Psychologe kümmert sich ehrenamtlich um die kleine Victorita, die immer noch nachts schreiend aufwacht, weil sie mit ansehen musste, wie ihre Mutter ihr Brüderchen erschlug. Der Dorfarzt schaut regelmässig vorbei, die Klosterangestellten helfen freiwillig beim Kochen, Waschen und Bügeln. Der Löwenanteil der Kosten aber lastet auf den Schultern des Ehepaares Negrea. Vom Staat bekommt der Abt keinen Pfennig - dafür hat man ihm die Kinderschutzbehörde auf den Hals gehetzt, weil er die EU-Regeln nicht erfüllt, die für die Unterbringung der Kinder Zweibettzimmer mit eigenem Bad verlangt und die Stockbetten in der Stube der Jungs verbietet. „Dann nehmt die Kinder doch mit und steckt sie in solche Heime“ schmettert der Abt dem Amtsfräulein entgegen, das sich daraufhin nie wieder blicken lässt. „Aber bis es so weit ist, gebe ich ihnen, was ich geben kann!“
Und das ist unschätzbar viel in einer kargen Region, in der nicht mal Kartoffeln wachsen und kaum Arbeitsplätze zu finden sind. Wo Verzweiflung und Suff um sich greifen und Menschen verrohen lassen, gibt es auf einmal eine Insel der Geborgenheit, in der kleine Seelen fürs Leben lernen, was die ganze Welt so bitter nötig hat: Herzenswärme und Liebe, selbstloses Engagement und Aufrichtigkeit.
Vater Mihai, seine Frau Iulia und sieben der neun Schützlinge
Aber damit ist es nicht getan. 35 Waisen und Halbwaisen leben derzeit in Podu Cosnei, die ebenso dringend der Unterstützung und Betreuung bedürfen. Den Kontakt zu ihren Eltern und Verwandten sollen sie nicht verlieren, aber eine Zufluchtstätte in der Not und liebevolle stabile Bezugspersonen als Vorbilder sind unbedingt nötig. Denn wer soll Tränen trocknen, bei den Hausaufgaben helfen, die Wäsche waschen, das Pausenbrot schmieren, wenn zuständige Erziehungsberechtigte sich überfordert fühlen? Wenig kann man tun für die wahrhaft Verzweifelten, sagt Vater Mihai, aber ihre Kinder sollen nicht auch noch an deren Schicksal zerbrechen!
Und er hat auch schon eine Idee, wie dies zu bewerkstelligen sei: Ein Fürsorgezentrum für Kinder möchte er gründen, denn Geldspenden an die Erziehungsberechtigten zu geben hat leider wenig Sinn. Es würde nur den Umsatz der Dorfkneipe ankurbeln. Vater Mihai urteilt nicht, doch er ist Realist. Der junge Dorfpolizist erhält eine Flasche Wein und macht sich auf den Weg, um zu kontrollieren, ob sich die gestern gespendete Kinderkleidung noch im Hause des Empfängers befindet. So etwas spricht sich rum in dem kleinen Dorf und kaum jemand traut sich mehr, die Sachen auf dem lokalen Markt zu verscherbeln. „Hundertprozentig verhindern kann man es nicht“, sagt Vater Mihai und fügt traurig hinzu „leider sind 80% der schlimmen Geschichten, die man über Rumänien schreibt, wahr“. Und doch greift er immer wieder in die eigene Tasche, um Öl oder Brot in das ein oder andere Haus zu tragen. Denn bis er sein Kinderzentrum eröffnen kann, geht wohl noch kostbare Zeit ins Land.
„Aber ein Gebäude haben wir schon!“, sagt Vater Mihai auf einmal überraschend und deutet in den Hof hinaus. Dort steht ein schönes altes Landhaus, das offensichtlich im Umbau begriffen ist. An freiwilligen Helfern aus der Umgebung mangelt es nicht, nur das Baumaterial ist ihnen jetzt ausgegangen. Die Fläche für den Spielplatz ist auch schon eingeebnet, woher die Geräte kommen sollen, weiß noch niemand. Er macht sich keine Gedanken, wie er das alles schaffen will. Ein Schritt nach dem andern, und der Weg ergibt sich irgendwie von selbst. So ging es immer.
Trotzdem denkt Vater Mihai immer weiter in die Zukunft. Er träumt von eigenen Werkstätten, in denen die Kinder später ein Handwerk lernen können. Starthilfe, die dringend nötig ist, denn die Region hat wirtschaftlich nichts zu bieten. Was aber passiert mit seinen Kindern, wenn sie volljährig sind? „In staatlichen Waisenhäusern werden sie mit 18 auf die Straße gesetzt und enden oft in Kriminalität und Prostitution. Wenn ich das genauso mache“, sagt Vater Mihai, „dann war alles bisher umsonst“. Er verweist auf die beiden ältesten Buben, Catalin und Ioan, die schon 18 und 21 sind: „Meine Kinder bleiben solange im Hause, bis sie auf eigenen Füßen stehen“. Warum er sich so für Kinder engagiert, fragte ihn einmal eine Journalistin. Er senkte kurz den Kopf, als wollte er überlegen. Doch dann brach es spontan aus ihm heraus: „Ich mache einfach, was mein Herz mir sagt.“
An diesem urigen Herd brodelt Suppe für 11 Leute
Von Herzen helfen...
...möchte man hier, und in der Tat, das Kinderprojekt von Mihai und Iulia Negrea benötigt dringend Unterstützung. Eine Vereinigung hat Abt Mihai Negrea erst vor kurzem gegründet (Asociatia Filantropica Crestina Sfintii Voievozi Mihail si Gavriil, Judetul Suceava, Satul Podu Cosnei, Comuna Cosna Nr. 5 A-B), aber leider gibt es noch keine offizielle e-mail Adresse, keine Website, kein deutsches Spendenkonto und ähnliche dringend nötige Infrastruktur, zumal sich die beiden in diese Dingen nicht auskennen.
Wer sich als Spender engagieren möchte oder eine gute Idee hat, wie man dem Kinderprojekt sonst noch weiterhelfen kann, möge sich unter folgender, für diese Zwecke eingerichteter e-mail melden: ingerulcopiilor@yahoo.com (Sprache: deutsch, englisch, rumänisch).
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Antoine de Saint-Exupery
zurück zur Startseite Kalender 2009