Stromlos in Fata Rosie


Fotos: Ronny Müller
Text: Alice Müller

Clip
Unsere Wanderungen führ­ten uns be­reits mehr­fach in die wun­der­schö­ne Land­schaft der Ber­ge der Po­ia­na Rus­ca. Es ging berg­ab und berg­auf, durch Laub- und Na­del­wald, vom ei­nem Dorf zum nächs­ten. Oft schim­mer­te in der Fer­ne be­reits die nächs­te Kirch­turm­spit­ze oder die rot leuch­ten­den Dä­cher der von Te­ras­sen­fel­dern um­ring­ten Dör­fer auf den grü­nen Hü­geln.
Berglandschaft
Die scheinbar riesen­gro­ßen Tür­me der or­tho­do­xen Kir­che in Ghe­lari und ei­nen gro­ßen Mast bei Ba­tra­na konn­ten wir al­ler­dings im­mer ge­nau er­ken­nen. Wo­zu war die­ser mar­kan­te Punkt in der Land­schaft gut? Viel­leicht für Handy­funk? Kei­ne Ah­nung, wer weiß... Doch Ba­tr­ana lag bei un­se­ren Tou­ren im­mer zu weit ent­fernt, um das Rät­sel zu lö­sen. Aber für uns stand fest, ir­gend­wann wer­den wir es dort­hin schaf­fen!
Zelt auf Bergwiese
Im Mai 2010 brachen wir schließ­lich von Ilia aus bei bes­tem Wan­der­wet­ter über Ra­du­lesti und Bu­joru in Rich­tung Ba­tra­na auf. Nach Ros­cani folg­ten wir zu­nächst den Ka­beln, die in Rich­tung des gro­ßen Mast ver­lau­fen. Der Weg führ­te uns zu ei­ner Kreu­zung, an der wir durch den Wald nach Fa­ta Ro­sie ab­kür­zen konnten.
Wegweiser
Doch oben angekom­men, spiel­te der Wet­ter­gott nicht mehr mit. Ge­ra­de war das Zelt auf­ge­baut, fing es an zu reg­nen. Nicht so schlimm, dach­ten wir. Ba­tra­na war nicht mehr un­end­lich weit ent­fernt und wir freu­ten uns schon auf ein le­cke­res Bier im Bu­fet. Am nächs­ten Mor­gen reg­ne­te es noch im­mer und wir wa­ren ge­zwun­gen, in un­se­rem Zelt auf bes­se­res Wet­ter zu war­ten. Ste­tig lau­schend ob der Re­gen nach­ließ, hör­ten wir zwei Frau­en­stim­men. Un­ter Re­gen­schir­men, in grü­nen Gum­mi­stie­feln, bei­de mit bun­ten Kopf­tü­chern, un­ter­hiel­ten sich die zwei wohl an­ge­regt über un­ser Zelt. Als sie er­fuh­ren, dass wir die gan­ze Nacht im Zelt ver­bracht hat­ten, konn­ten es sich die bei­den nicht vor­stel­len, dass die Schlaf­sä­cke nachts wär­men und der Re­gen dem Zelt nichts aus­macht. Al­so lu­den sie uns zu sich nach Hau­se ein. In ih­rer war­men Kü­che mach­te un­se­re Gast­ge­be­rin Vio­ri­ca Ben­teu erst mal Kaf­fee auf dem hei­ßen Holz­ofen. Ge­gen­über stan­den zwei, mit schö­nen De­cken über­zo­ge­ne Bet­ten. Am Fens­ter noch ein Tisch mit drei Holz­ho­ckern und aus dem Laut­spre­cher des bat­te­rie­be­trie­ben­en klei­nen Ra­dio klang ru­mä­ni­sche Fol­klo­re. Vio­ri­ca, die sich über die­se Ab­wechs­lung freu­te, er­zähl­te un­un­ter­bro­chen. Wäh­rend wir auf den Bet­ten sa­ßen gab es noch le­cke­re Brat­kar­tof­feln mit Spie­gel­ei und ei­ne Tui­ca hin­ter­her.Wir fühl­ten uns wie im sieb­ten Him­mel.
Teller
Wir fragten nach dem Kabel, das durch den Ort hin­durch wei­ter zum Mast in Ba­tra­na führt. Wir staun­ten nicht schlecht über die Ant­wort: es war ein Te­le­fon- und In­ter­net­ka­bel. “Kei­nen Strom, aber WLAN ... das ist Ru­mä­nien li­ve”, lach­te sie, wäh­rend sie uns stolz ih­re drei Han­dys prä­sen­tier­te. Jetzt muss­ten auch wir herz­lich la­chen.
Bildertafel
Viorica zeigte uns noch die "gu­te Stu­be", ei­ni­ge al­te Fo­tos und ei­nen Klei­der­schrank vol­ler Trach­ten. Und eh ich mich ver­sah, steck­te ich auch schon in ei­nem schö­nen wei­ßen Trach­ten­kleid mit auf­wän­dig be­stick­ten Rän­dern. Schür­zen, Gür­tel, die das Kleid for­men so­wie ein Kopf­schmuck folg­ten ge­nau so, wie ei­ne da­zu­ge­hö­ri­ge Bro­sche und bun­te Ket­ten. Vio­ri­ca war über mei­ne Ver­wand­lung von mei­nem Trek­king-Out­fit hin zu "hai­ne tra­di­tio­nal" der­ma­ßen an­ge­tan, dass ich mich wie ei­ne klei­ne Pa­du­rian­ca fühlte.
Frau in Tracht
Unterdessen hatte der Re­gen nach­ge­las­sen und wir be­schlos­sen nach Ba­tra­na wei­ter zu lau­fen. Al­ler­dings ka­men wir nicht wirk­lich weit. Re­gen. Sehr viel Re­gen. Schon wie­der. Klitsch­nass lie­fen wir schnell zu Vio­ri­ca zu­rück. Sie freu­te sich sehr und ver­wöhn­te uns mit Eier­ku­chen und selbst­ge­mach­ter Mar­me­la­de. An­schlie­ßend muss­ten wir auch noch ih­re Freun­din be­su­chen, die sie am Mor­gen be­glei­tet hat­te. Auch bei ihr wur­den wir köst­lich be­wir­tet - die bei­den Frau­en kon­kur­rier­ten wohl ein we­nig um uns. Zu­rück bei Vio­ri­ca hal­fen wir ihr, die Kü­he und Schwei­ne zu ver­sor­gen. Sie zeig­te mir wie der Mais vom Kol­ben ge­löst wird. Ich ha­be mich da­bei recht däm­lich an­ge­stellt - dabei sah es so leicht aus, als sie es mir er­klärte.
Frauen arbeiten
Am späten Nachmittag schließ­lich kam ihr Mann von Ar­beit und zeig­te uns im Schup­pen hin­term Haus den ei­ge­nen Strom­ge­ne­ra­tor, der auch gleich sei­ne Ar­beit auf­nahm. Ge­mein­sam sa­ßen wir dann in der be­leuch­te­ten Kü­che und wir be­ka­men auch gleich ei­ne Vor­füh­rung. In ei­nem Holz­schrank in der Ecke des Rau­mes ver­steck­te sich ein klei­ner Fern­se­her, der ge­gen 18 Uhr ein­ge­schal­tet wur­de. Denn dann läuft “Sho­gun”, die Lieb­lings­se­rie der Be­woh­ner von Fa­ta Ro­sie. Ri­chard Cham­ber­lain spielt da mit. Geht um Macht, In­tri­gen und Lieb­schaf­ten im feu­da­len Ja­pan - viel mit Sa­mu­rai-Eh­re und Gei­shas. Vio­ri­ca, die sonst un­un­ter­bro­chen lach­te und er­zähl­te, schau­te mit ih­rem Mann völ­lig still und ge­bannt auf den klei­nen Fern­se­her. Wir nut­zen die Ge­le­gen­heit und bau­ten wäh­rend des­sen auf der noch ziem­lich nas­sen Wie­se un­ser Zelt auf. Am nächs­ten Mor­gen schien end­lich wie­der die Son­ne. Zum Früh­stück brut­zel­te Vio­ri­ca für uns wie­der Kar­tof­feln mit Spie­gel­ei. Ge­stärkt mach­ten wir uns auf den Weg um die be­nach­bar­ten Dör­fer Pia­tra und Rachi­taua zu er­kun­den. In Rachi­taua zeig­te uns ein Im­ker hin­ter sei­nem Haus dut­zen­de Bie­nen­stö­cke, die zwi­schen vie­len weiß und ro­sa blü­hen­den Kirsch­bäu­men stan­den. Un­zäh­li­ge Bie­nen schwirr­ten um uns he­rum, dass es mir von dem Ge­sum­me ganz schwin­de­lig wur­de. In si­che­rem Ab­stand konn­ten wir da­nach den gold­gel­ben Honig pro­bie­ren ... mhm ... ein­fach köst­lich.
Honigwaben
Doch dann wurde der Himmel schon wieder schwarz. Mit schnel­len Schrit­ten lie­fen wir nach Fa­ta Ro­sie zu­rück. Noch recht­zei­tig an­ge­kom­men er­war­te­te uns Vio­ri­ca be­reits mit ei­nem Boh­nen­es­sen. Wir aßen in der war­men Kü­che und schau­ten bei Ha­gel und Re­gen in den Gar­ten auf un­ser Zelt. Ge­gen Abend wur­de das Wet­ter je­doch wie­der bes­ser und Vio­ri­ca spa­zier­te mit uns noch zu ei­nem schö­nen al­ten ver­las­se­nen Haus und ei­nem selbst­ge­bau­ten Wind­rad. Auf dem Rück­weg be­such­ten wir dann zwei Nach­barn der Fa­mi­lie Ben­teu. Sie er­zähl­ten erst ein we­nig vor dem Haus und als es schließ­lich dun­kel wur­de, ba­ten sie uns noch auf ei­ne Tui­ca und Äp­fel he­rein. Im Haus war es schön ge­müt­lich warm und ei­ne Pe­tro­leum­lam­pe wur­de an­ge­zün­det, die leicht den Raum er­hell­te. Für uns ro­man­tisch an­mu­tend, für die schon äl­te­ren Be­woh­ner auf Dau­er je­doch si­cher­lich an­stren­gend.
Menschen vor einem Haus
Bereits im Dunklen ka­men wir wie­der bei Fa­mi­lie Ben­teu an. Jetzt be­merk­te Vio­ri­ca, dass sie ei­nes ih­rer drei Han­dys ver­lo­ren hat­te. Mit ih­rer Ta­schen­lam­pe rannte sie hek­tisch in den Stall, über den Hof, zu­rück in den Stall und schließ­lich ins Haus. Doch sie such­te ver­geb­lich - kein Wun­der oh­ne Strom. "Zum Glück hast du ja noch zwei", trös­te­ten wir sie. Als wir am nächs­ten Mor­gen un­se­re Ruck­sä­cke pack­ten, über­rasch­te sie uns freu­de­strah­lend mit ih­rem wie­der ge­fun­de­nen Han­dy. Es war am Abend zu­vor bei der Nach­ba­rin hin­ters Bett ge­fal­len ... Ein letz­tes Mal gab es Brat­kar­tof­feln mit Spie­ge­lei und wie­der fing es an zu reg­nen. Da­mit wir schnel­ler nach Ros­cani kom­men, führ­te uns Vio­ri­ca ei­nen Ab­hang hin­ter dem Haus hi­nun­ter durch den Wald zu­rück auf den Forst­weg. Wir soll­ten uns die Ab­kür­zung fürs nächs­te Mal gut ein­prä­gen, mein­te sie noch zum Ab­schied. Ei­ni­ge Trä­nen kul­ler­ten und nach meh­re­ren Küss­chen lie­fen wir los. Als wir uns noch­mals um­dreh­ten, sa­hen wir sie ganz klein in der Fer­ne noch im­mer an dem Ort ste­hen, an dem wir sie ver­las­sen hat­ten und wink­te uns noch lan­ge hin­ter­her.
Batrana und den rätsel­haf­ten Mast ha­ben wir im­mer noch nicht er­reicht; da­für aber auf dem Weg lie­be, be­wun­derns­wer­te Men­schen ken­nen ge­lernt, die - selbst oh­ne Strom, da­für aber mit "WALN" - glück­lich und zu­frie­den leben.
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