An jenem Tag im Jahre 2008 fuhren wir mit der Wassertalbahn durch eine ursprüngliche und noch vom Hochwasser gekennzeichnete Landschaft nach Faina.
Den weiteren Weg bis nach Valea Babei legten wir zu Fuß zurück. Hin und wieder sah ich Hundespuren; damals nicht ahnend, dass sich daraus unsere Reisegeschichte entwickeln sollte. An unserem Übernachtungsziel angekommen, empfingen uns freundliche Wirtsleute. Nach intensiver Unterhaltung zogen wir uns müde vom Tag zurück, nicht vergessend dem Hund auf den Hof auch Noapte Bune zu wünschen. In der Nacht zog ein Gewitter mit kurzen und starken Donnerschlägen über das Tal. Der graue Morgenhimmel begleitete uns nach herzlicher Verabschiedung noch eine Weile auf unserer Wanderung hinauf zum Refug montan.
Neben unseren Wanderschuhen gesellten sich vier fellige Tatzen. Ich freute mich über die neue angenehme Begleitung still, aber überzeugt, dass er jeden Moment umkehren und zu seinen Leuten laufen würde. Mit der Zeit sahen wir uns auf den immer steiler werdendem Weg öfter unsicher fragend an: Wann dreht er um, wie weit läuft er noch mit?
Inzwischen ist es warm geworden, der Himmel ist klar und lässt die Sonnenstrahlen ungehindert in unsere Gesichter scheinen. Die Schritte werden kleiner, der Durst größer - und der Hund ist noch immer da. Gemeinsam freuen wir uns über eine sprudelnde Quelle. Wir machen Pause und geben auch unserem neuen Wanderfreund etwas ab. Er hatte Anstand, betteln gab’s bei ihm nicht. Die fragenden Blicke unsererseits hörten nun auf. Es war deutlich, dass er schon zu weit mit uns gelaufen ist.
Auf einem Plateau, eingenommen von Bergen und wunderschönen Wiesen, gehen wir weiter. Mittlerweile begann uns sein feines Wesen zu berühren. So laufen wir zu Dritt. Plötzlich kommen hinter Büschen Schafe gelaufen und mit ihnen einige dieser großen Hütehunde, grau mit roten Quasten am Halsband, die sie majestätisch erscheinen lassen. Ihres Auftrags bewusst, laufen sie auf uns zu. Wir bleiben nur stehen und sehen fassungslos, wie „unser Hund“ sich diesen Tieren entgegenstellt.
Von ihnen umzingelt, hören wir wimmernde Geräusche. Ich rufe und schreie die davon unbeeindruckten Hunde an – sehe und höre die Peitsche des Hirten zwischen die Hunde sausen, kann erkennen, wie die Hirtenhunde auseinander gehen und ihn laufen lassen. Er hatte versucht, uns zu verteidigen. Erleichtert gingen wir weiter.
Nun waren wir so weit oben, dass wir die riesigen Wiesen übersehen konnten, es war sehr beeindruckend. Noch mehr beeindrucken sollten uns schon aus großer Entfernung näher kommende Hütehunde einer weiteren Herde. Sie hatten alles schon lange mitbekommen und kamen bereits auf uns zu. Es gab kein Ausweichen auf diesen Flächen. Wir ahnten nun, was passieren würde. In meiner Sorge um den Hund, fühlte ich mich so machtlos.
Den Vorschlag ihn zu seiner Sicherheit zu verjagen fand ich genauso ausweglos. Wo sollte er hin, wie sollte er verstehen, dass wir ihn gerade jetzt wegscheuchen? 1000 Gedanken – 1000 Sprünge mehr für die Hütehunde. Als ich nicht hinsah, warf mein Freund einen Stein, nicht um zu treffen und wissend, dass ich völlig außer Fassung gewesen wäre, hätte ich’s gesehen. Die Hunde waren nun da, der Hirte noch weit. Doch es war plötzlich anders, er unterwarf sich, worauf die Hütehunde von ihm abließen.
Er verteidigte uns dieses Mal nicht. Die Hirtenhunde umkreisten uns wie ein Windspiel, endlich war auch der Hirte da und sie ließen ab. Wir gingen weiter, da kam noch ein kleiner Nachtrupp Ziegen, ich bemerkte sie nicht. Plötzlich ein Ruf: Bleib stehen!
Drei Hütehunde kehrten zurück. Nachdem sich einer von ihnen Respekt mit einem leichten Schnapper in die Kniekehle verschafft hatte, liefen sie davon. Jetzt kam unser Pflaumenschnaps zur äußerlichen Anwendung. Dabei legten wir die Sonnenhüte ab, vermutlich weht sie der Wind noch heute über die Karpaten. Der Hund gesellte sich gleich wieder zu uns. Etwas fertig und richtig erfreut, richteten wir im Refug montan die Schlafsäcke für die Nacht. Zum Schlafen kam keiner von uns Dreien. Der Hund wollte draußen bleiben und kreiste bellend um das Refug. Wir wissen nicht, was er die ganze Nacht meldete oder gar verjagte. Wir versuchten aus der Fensterluke mit dem Licht der Stirnlampe zu schauen, konnten aber nur an den leuchtenden Augen seine Bewegungen erkennen.
Die Sonne des nächsten Morgen brachte uns die Energie zur Toraijaga aufzusteigen.
Zu Dritt machten wir uns auf den Weg. Nach kurzer Rast auf dem Berg waren wir am Nachmittag zurück. Geplant hatten wir nach Borsa zu wandern. Doch was wurde dann aus dem Hund? Uns kamen Gedanken, dass er nicht zurückfinden würde und es dann dort einen Straßenhund mehr geben würde. Eine Vorstellung, die uns sofort zu dem Entschluss brachte aufzubrechen und wegen der knappen Zeit den steileren Abstieg entlang der Bergbaugebiete zu nehmen. Da es ein Donnerstag war und die Wassertalbahn nur noch Freitag nach Viseu de Sus fahren würde, mussten wir schnell handeln, um am Abend in Valei Babei zu sein. Ein tiefes Gefühl sagte uns, dass es so gut ist. Es war ein sehr anstrengender Abstieg. Ein Dank an meinen Freund, der es verstand, dort den richtigen Weg zu finden. Auf Geröll und knietief ausgespülten Rinnen kamen wir an einer verlassenen Bergarbeitersiedlung vorbei, wo uns ein Mann den Weg wies, den wir als solchen nicht erkannt hätten – er war vom Hochwasser fortgespült - wir liefen mehr in einem Flussbett über Baumstämme balancierend und streckenweise mehr kletternd.
Der Hund war da klar im Vorteil, hielt sich aber immer in unserer Nähe auf. Je weiter wir dem Fluss entgegenkamen, umso mehr lief er voran. An einem vom Wasser weggerissenem Bahngleis erkannten wir erleichternd die Vaser. Um das andere Flussufer zu erreichen, wollte ich an einer flachen Stelle die Schuhe ausziehen. Da nahm der Hund sanft meine Hand ins Maul und zog mich weiter. Hier kannte er die Gegend und führte uns an einem ins Wasser abgerutschten Hang entlang zu einer Staumauer, die es nun zu überqueren galt.
Ich hätte doch lieber die Schuhe ausgezogen. Hund und Freund liefen locker herüber, für mich war es eine Herausforderung. Nun war es noch eine Stunde wieder auf und entlang der Wassertal-Bahnschienen bis zu Maria und Ioan, den Wirtsleuten.
Der Hund wurde immer ungeduldiger und aufgeregter. Als wir nach eine Abbiegung Valei Babei sahen, rannte er vorweg. Wir konnten einen Freudenruf von Maria hören. Es gab ein herzliches Wiedersehen. Ioan bereitete sofort den Badeofen vor und brachte Bier und Schnaps, Maria Nüsse. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie erfuhr, dass uns ihr Hund auf die Toraijaga begleitet hatte und bat uns das Bild zu schicken. Ich wollte wissen, wie der Hund heißt: Florin. Wir fühlten eine tiefe Zufriedenheit und Dankbarkeit. Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns nochmals. Florin folgte uns nach Miraj, wo die Bahn abfahren sollte. Ioan sagte, nu problem. Wir waren beruhigt.
Gemeinsam saßen wir zu Dritt auf den Gleisen und warteten auf die Bahn. Mit einem Schnaufen kündigte sie sich an. Wir sprangen schnell hinein. Verabschiedet hatte ich mich von Florin schon auf dem Weg. Als die Bahn anfuhr suchte ich ihn mit wehmütigem Blick und glücklich, ihn bei seinen Leuten zu wissen. La revedere!
Auf dieser Rückfahrt nach Viseu de Sus durften wir eine beeindruckende Fahrt erleben. Wir sahen, wie der Lokomotive nach und nach durch Beladen und Rangieren 17 Waggons voll mit Holzstämmen angehängt wurden und die Arbeiter als Bremser bei diesem Holztransport die Talfahrt langsamer werden ließen. Oft dachte ich an Florin, ohne ihn hätten wir all das nicht so erlebt. Mein Freund meinte, dass es mühselig sei zu denken, dass wir auf unserer geplanten Tour nicht so Schönes erlebt hätten; und man es nicht wüsste. Ich weiß, dass es wunderbar war, die Vaser, das Wassertal, diese Landschaft und die Leute so intensiv erleben zu dürfen. Danke Florin!
Unsere Reise ging dann weiter in die Bukowina, der Heimat meiner Mutter. Es war ihr nicht möglich, die Orte ihrer Kindheit noch einmal aufzusuchen. Nach unserer Rückkehr sahen wir uns gemeinsam die Bilder an und tranken mitgebrachtes Quellwasser aus dem Brunnen des Forsthauses, in dem sie gelebt hatte.
Kurze Zeit später erlitt sie einen Schlaganfall, der sie aufnahmeunfähig machte. Zutiefst dankbar, dass sie noch erfahren durfte, dass wir in Ascuns und Falcau waren, denke ich an diese Reise zurück.