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Der Fröhliche Friedhof von Săpânţa


Wo das Lachen den Tod besiegt


von Joscha Remus

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Interview mit dem Künstler und Dichter Dumitru Pop
Im äußersten Nord­wes­ten Ru­mä­niens, di­rekt an der ukra­ini­schen Gren­ze nimmt sich der klei­ne Ort Să­pân­ţa als ein­zi­ges Dorf Ru­mä­niens das Recht he­raus, dem Tod mit sei­nem Fröh­li­chen Fried­hof Pa­ro­li zu bie­ten. Lus­ti­ge und skur­ri­le klei­ne Ge­schich­ten sind dort auf leuch­tend blau­en Grab­kreu­zen zu le­sen, die meist recht res­pekt­voll, aber manch­mal auch zy­nisch aus dem be­weg­ten Le­ben der Ver­stor­be­nen be­rich­ten.
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Wie wichtig eine hu­mor­vol­le letz­te Ru­he­stät­te zu sein scheint, wird da­durch deut­lich, dass so­gar die UNES­CO ih­re schüt­zen­de Hand über den Fried­hof hält. Zu ver­dan­ken hat die Ge­mein­de ih­ren welt­wei­ten Ruhm der Idee ei­nes mit­tel­lo­sen, aber fan­ta­sie­vol­len Holz­schnit­zers na­mens
Stan Ion Pătraş (1909 – 1977)
Er kam auf die Idee, dem Tod et­was Far­be und Hu­mor zu ver­lei­hen, in­dem er die Holz­kreu­ze der Grä­ber mit dun­kel­blau­er Far­be und mit Ta­feln ver­schö­ner­te, auf de­nen er mit ei­nem ge­schnitz­ten bun­ten Bild und ge­reim­ten Ver­sen kurz auf das in­te­res­san­te – oder eben ba­na­le Le­ben der Ver­stor­be­nen ein­ging. Hier ein Bei­spiel:
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Der namenlose Geigen­spieler
Ein Grab auf dem Fröh­li­chen Fried­hof von Să­pân­ţa zeigt ei­ne Ab­bil­dung mit ei­nem Vio­li­nen­spie­ler in volks­tüm­li­cher Tracht. Ein wei­te­rer Mann tanzt ne­ben ihm und schnippt mit den Fin­gern im Takt zur Mu­sik. Die In­schrift lau­tet:
„Als ich noch ein junger Bursche war,
liebte ich es zum Klang der Geige zu tanzen,
aber als ich geheiratet habe,
hat meine Frau mich nicht mehr gelassen.
Ich hatte ein Kind,
das ich liebevoll großgezogen habe,
meinen Sohn Sorinel,
ich habe so lange auf dich gewartet,
dass du an mein Bett kommst,
als ich die harte Zeit durchlebte,
aber deine Mama hat dich nicht gelassen,
und ich bin traurig gestorben
habe das Leben gelassen
mit 38 Jahren.
Gestorben 1985.“
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Letztlich sind es die­se teils lus­ti­gen, teils rus­ti­kal-def­ti­gen Rei­me, die den Fried­hof in al­ler Welt be­rühmt ge­macht ha­ben. Ei­ni­ge der klei­nen Ge­schich­ten ver­wei­sen auf die Trink­sucht, an­de­re auf die frü­heren Lie­ben des Ver­stor­be­nen oder sei­nen Hang zum aus­gie­bi­gen Fei­ern. Man­che In­schrif­ten kön­nen sich auch Sei­ten­hie­be der zu­rück­ge­las­se­nen Ehe­frau auf den Ehe­mann nicht ver­knei­fen.
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Die Tradition der fröh­li­chen Grab­kreu­ze wur­de nach dem Tod von Stan Ion Pă­traş von ei­ni­gen Holz­schnit­zern im Dorf wei­ter fort­ge­führt. Als le­gi­ti­mer Nach­fol­ger gilt heu­te Dumi­tru Pop, des­sen Werk­statt mit klei­nem Mu­seum man ganz in der Nä­he des Fried­hofs be­su­chen kann.
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Interview mit Dumitru Pop
Dumitru Pop, der als Holz­schnit­zer und To­ten­kreuz­dich­ter für die lus­ti­gen Sprü­che auf den Grab­kreu­zen ver­ant­wort­lich ist, hat mir in ei­nem Ge­spräch ein we­nig über die ei­gen­ar­ti­ge Tra­di­ti­on er­zählt, die im Som­mer end­lo­se Rei­hen von Tou­ris­ten­bus­sen an­zieht und lei­der zu ei­ner rei­nen At­trak­ti­on zu ver­kom­men scheint, mit der sich viel Geld ver­die­nen lässt. In sei­nem klei­nen pri­va­ten Mu­seum liegt ei­ne di­cke Map­pe mit Zei­tungs­aus­schnit­ten aus al­ler Welt. Die „New York Ti­mes“ ti­tel­te: „Man wür­de sich den Arsch ab­la­chen, wenn man nicht schon tot wäre.
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Joscha Remus: Herr Pop, Sie sind Holz­schnit­zer und Dich­ter und set­zen das Le­ben der Ver­stor­be­nen von Să­pân­ţa in lus­ti­gen Ver­sen auf de­ren Grab­kreuz. Wer hat sich denn das aus­ge­dacht?
Dumitru Pop: Ich fertige in­zwi­schen nicht nur Kreu­ze für Să­pân­ţa an, son­dern ha­be schon Auf­trä­ge aus der gan­zen Welt. Der Tod ge­hört hier in Ru­mä­nien eng zum Le­ben da­zu und so kam der Zim­mer­­mann Stan Ion Pă­traş in den 1930er-Jah­ren auf die Idee, ei­nen fröh­li­chen Nach­ruf zu ver­fas­sen. Die Nach­fra­ge nach et­was Hu­mor, was den Tod be­trifft, schien sehr groß zu sein, denn plötz­lich woll­ten al­le Leu­te so ei­nen hüb­schen Vers auf ih­rem Grab ha­ben. Und jetzt sind wir be­rühmt. Die Leu­te von der UNES­CO wa­ren schon hier und viel­leicht wer­den wir ja ei­nes Ta­ges noch ins Welt­kul­tur­er­be auf­ge­nom­men.
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Joscha Remus: Hat sich an den Sprü­chen seit den ers­ten Nach­ru­fen vor über 70 Jah­ren et­was ver­än­dert? Das Le­ben hat sich doch sehr ge­wan­delt hier im Dorf seit­dem.
Dumitru Pop: Nein, nicht so viel wie man an­neh­men könn­te. Hier ist kei­ner grö­ßen­wahn­sin­nig ge­wor­den, nur weil uns jetzt al­le Welt kennt, und das Le­ben und Ster­ben im Ort geht sei­nen ge­wohn­ten Gang. Si­cher­lich ha­be ich als Nach­fol­ger von Stan Ion Pă­traş nun be­reits mehr­mals mo­der­ne Mo­ti­ve mit auf die Kreu­ze ge­nom­men. Nun sind Trak­to­ren zu se­hen und die Leu­te wün­schen sich manch­mal ver­rück­te Sa­chen wie Fern­se­her oder Au­tos auf dem Kreuz. Was soll ich ma­chen? Die Tex­te sind jetzt et­was län­ger und sa­gen noch mehr über das Le­ben aus als frü­her. Aber die Tie­fe des Le­bens kann sich nicht än­dern und ich schrei­be ja das Le­ben auf.
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Joscha Remus: Gehen Sie in die Häu­ser und be­fra­gen die Fa­mi­lie oder ken­nen Sie je­den Ver­stor­be­nen? Wo­her neh­men Sie ih­re In­for­ma­tionen?
Dumitru Pop: Ich muss schon nach­fra­gen. Die meis­ten ken­ne ich nur flüch­tig, da ich jetzt auch im­mer we­ni­ger Zeit ha­be. Ich er­kun­di­ge mich im­mer erst mal ganz ge­nau nach dem Le­ben der Per­son. Dann fra­ge ich nach den Feh­lern und Sün­den, die na­tür­lich auf dem Grab nicht feh­len dür­fen. Das ist ja schließ­lich das Schö­ne an Să­pân­ţa. Wir be­schö­ni­gen nichts. Hier kommt al­les auf den Tisch. Wahr­schein­lich macht das den Reiz aus. Die Ehr­lich­keit, mit der man dem Tod ge­gen­über­tritt. Viel­leicht ist dies da­rum ei­ner der we­ni­gen Plät­ze in der Welt, wo das La­chen den Tod be­siegt.
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zum Verfasser dieses Beitrages:
Als sich der Schrift­stel­ler Jo­scha Re­mus vor 35 Jah­ren mit ei­nem In­ter­rail­zug auf die Spu­ren­su­che nach Ru­mä­nien be­gab (sein Va­ter stammt aus der Bu­ko­wi­na), konn­te er noch nicht ah­nen, dass die­ses Land ihn fort­an nicht wie­der los­las­sen soll­te. Sei­ne Ver­wand­ten in Cluj muss­ten ihn da­mals vor der Se­cu­ri­ta­te ver­ste­cken, da ein Fa­mi­lien­mit­glied beim Mi­li­tär ar­bei­te­te und Kon­takt zu West­bür­gern für sol­che Fa­mi­lien strengs­tens ver­bo­ten war. Heu­te ge­nießt Jo­scha Re­mus die Frei­heit, das Land in al­ler Ru­he im­mer wie­der neu zu ent­de­cken und lebt wahl­wei­se, je nach Wet­ter und Ru­he­be­dürf­nis, in Deutsch­land, Ru­mä­nien oder in Neu­see­land. Jo­scha Re­mus ar­bei­tet auch als Wis­sen­schafts- und Rei­se­jour­na­list u. a. für DIE ZEIT, das Ma­ga­zin ZEIT WIS­SEN und den SWR 2. Im Jahr 2010 ge­wann sei­ne Rei­se-Hör­buch­rei­he „weg­wärts“ den Deut­schen Hör­buch­preis. Über Ru­mä­nien sind von ihm er­schie­nen: ein Ru­mä­nien-Rei­se­füh­rer und der Band Kul­tur­schock Ru­mä­nien bei REI­SE KNOW HOW, so­wie sein Er­zähl­band Ru­mä­ni­sche Rhap­so­dien. Der sanf­te Flug der schwar­zen Da­men bei Pi­cus, Wien.
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