Transsilvanien – das klingt für viele Menschen nach Graf Dracula, blutsaugenden Vampiren und gruseligen, spinnennetzverhangenen Schlössern.
Tatsächlich ist Transsilvanien, auf deutsch Siebenbürgen, einer der schönsten Landstriche im Osten Europas, übersät mit über 50 alten Wehrkirchen und Kirchenburgen, von denen einige bis ins 12. Jahrhundert zurückdatieren.
Landschaft bei Sanpetru (Kronstadt/Braşov)
Wir verdanken sie den sogenannten siebenbürgener Sachsen, die dem Ruf des ungarischen Königs Geysa II folgten und mit Sack und Pack ins damalige Niemandsland auswanderten, um es zu besiedeln und gegen die Einfälle der Tataren und Mongolen zu schützen. Arme Leute aus dem rheinisch-moselfränkischen Gebiet, die in der Auswanderung eine Chance sahen, mit eigenen Kräften eine Zukunft in Freiheit und Unabhängigkeit aufzubauen.
Möchte man hierhin nicht auswandern?Wehrkirche von Deutsch-Kreuz/CriţKirchenburg von Deutsch-Weisskirch/Viscri
Heute gehört das ehemalige Dakerreich, das später von den Römern erobert und noch später von der ungarisch-österreichischen Monarchie einverleibt worden war, politisch zu Rumänien. Dieser bewegten Geschichte verdankt Transsilvanien seine Vielfalt an verschiedenen Ethnien. Rumänen, Ungarn und Deutsche pflegten in separaten oder auch gemischten Dörfern jahrhundertelang ihre jeweiligen Muttersprachen und Sitten, bis im Jahre 1989 der Massenexodus der Sachsen nach Deutschland stattfand und sich die Roma massiv in ihren verlassenen Dörfern ausbreiteten. Zurückgeblieben sind wenige, mit der heimatlichen Erde verwurzelte Alte oder in gemischten Ehen lebende Rumänendeutsche, die sich einen Neuanfang in der Fremde nicht zutrauten.
Sachse in traditioneller Tracht in Honigberg/HărmanZwei Sachsen schwingen die Glocken in Honigberg/Hărman
Zusammen mit ihren Kirchenburgen und Wehrkirchen ließen die Sachsen kostbare Altäre und historisch wertvolle Orgeln zurück. Da in den verlassenen Gotteshäusern kaum noch Gottesdienste stattfinden, bauten Iltisse Nester in den Orgelpfeifen, Mäuse fraßen sich durch die Kabelführung, Motten ließen sich Filzplättchen und Lederbälgchen schmecken und Würmer nagten sich durch hölzerne Windladen. Viele Kirchen fielen dem Vandalismus anheim: Altäre und Orgeln wurden auf der Suche nach verwendbaren Materialien ausgeschlachtet oder von Kunstschmugglern illegal ins Ausland verscherbelt. Wer braucht die alten Orgeln in Transsilvanien noch, mag man heute denken, zumal die in Rumänien vorherrschende orthodoxe Kirche keine Orgelmusik kennt?
Ein Beruf als Mission
Wir versetzen uns ins Jahr 2010, nach Rothberg/Roşia, ein ehemals sächsisches Dorf bei Hermannstadt/Sibiu. In der kleinen evangelischen Kirche, in der noch drei betagte Sachsen leben und schon lange keine Gottesdienste mehr stattfinden, liegt ein rumänischer Junge mit dem Staubsauger bäuchlings auf dem Orgelkasten und beseitig in schwindelnder Höhe die letzten Spuren der Arbeit. Der Fotograf George Dumitriu drückt schnell auf den Auslöser. Seit einem Jahr begleitet er die Aktivitäten der jungen Orgelbauer und ihrer Schweizer Lehrer in Rothberg/Rosia und hält in Bildern fest, wie die jungen Leute über Balken turnen, sich in enge Hohlräume zwängen, kopfüber oder in Rückenlage etwas ausklopfen, verleimen, abschleifen oder funkenstiebend verschweißen. In ihrem Job lernt man schnell, in allen Körperhaltungen arbeitsfähig zu sein - notfalls auch in der Horizontalen.
Die Lehrlinge der Orgelbauschule in Hărman/Honigberg - bestehend aus Rumänen, Ungarn, einem Romajungen und einem Schweizer Mädel, die einträchtig als Team funktionieren – kommen im ganzen Land viel herum. Als die Orgel in Deutsch-Weißkirch/Viscri restauriert wurde, erschien gar Prinz Charles zur Einweihung, denn auch er hatte sich dort ein altes Sachsenhaus gekauft, wie übrigens so manche ausländische Rumänienfreunde. Der feierlichen Eröffnung der restaurierten Orgel in Rothberg/Roşia wohnten der Bischof aus Sibiu bei, deutsche und schweizerische Diplomaten sowie der bekannte Schriftsteller Eginald Schlattner (einer der wenigen, nicht ausgewanderten Sachsen, der dort seit Jahrzehnten als Pfarrer wirkt). Die wichtigsten Orgelrenovierungen werden in hochwertigen Foto-Broschüren dokumentiert (*), wie etwa die der Orgel in der katholischen Kathedrale „Sfântul Iosif” in Bukarest mit einer gigantischen Auflage von 2000 Exemplaren. So gehen die Bilder der jungen Orgelbauer – auch wenn man sie vielleicht nicht namentlich kennt – schon während ihrer Ausbildungszeit um die ganze Welt.
Das Aufziehen der restaurierten Spielkonsole, Sfântul Iosef (Bukarest)Reinigung des leeren Orgelgehäuses, ViscriDie Schweizer Orgelbauerin und Ausbilderin Barbara Dutli bei der Kalibrierung der Pfeifen, ViscriMontage der neuen Pfeifen, ViscriSchwierige Operation in schwindelnder Höhe, Rothberg/RoşiaEin beherzter Schritt... Rothberg/RoşiaMontage der Traktur, Rothberg/RoşiaFeinarbeiten an der Traktur, Rothberg/RoşiaKalibrierung der Löcher der Pfeifenhalterung, Atelier Hărman
Die Arbeit geht ihnen so schnell nicht aus, denn allein in Transsilvanien gibt es über 2000 restaurierungsbedürftige Orgeln. Nicht immer finden sich Financiers, wie im Falle von Roşia, wo ein Schweizer Chor die nötigen Gelder gesammelt hatte. Dessen Chorleiter reiste zweimal im Jahr in das kleine Dorf, um mit den Roma-Kindern der Waldorfschule zu musizieren und Kulturprojekte durchzuführen. Eines Tages spielte er auf der verlassenen Orgel und beschloss, sie zu neuem Leben zu erwecken... Die einst verwaiste Kirchenorgel soll nun wieder regelmäßig in Konzerten erklingen und die Kommunikation der Menschen in der Umgebung fördern. Nicht nur die der Sachsen untereinander, sondern vor allem die aller in den umliegenden Dörfern ansässigen Musikfreunde. Dazu gehören im Falle von Roşia auch die Kinder der lokalen Waldorfschule, die ihre Weihnachtsaufführung in der kleinen sächsischen Kirche abhalten durften (**).
In ihren Bestrebungen, ihre verlassenen und verfallenden Kulturgüter zu erhalten, änderte sich die Haltung der früher verschlossenen Sachsengesellschaft in den letzten Jahren langsam, aber grundlegend. Organist Steffen Schlandt aus Kronstadt/Braşov bestätigt die Absicht hinter dieser Beobachtung. Früher hatten Rumänen gar keinen Zugang zu sächsischen Gottesdiensten, meint er, doch heute sind sie - genauso wie die vielen in Trassilvanien ansäßigen Ausländer - willkommene Gäste. Denn: nur was man kennt, lernt man lieben und möchte man bewahren! Dass die Orgeln von Transsilvanien noch lange nicht zum altem Eisen gehören, zeigte auch das Adventskonzert in Deutsch-Kreuz/Criţ am 28. November (**). Trotz eisiger Kälte füllten sich die Kirchenbänke bis auf den letzten Platz. Zweck des Konzertes war unter anderem, auf die dringend notwendige Restaurierung dieser Orgel aufmerksam zu machen. Obwohl das Instrument für Laienohren einen wunderbaren Klang entfaltete, musste Organist Schlandt gewaltig tricksen, um die vier noch halbwegs funktionsfähigen Register von den insgesamt 22 originalen Registern bespielen zu können. Doch vielleicht geschieht ja ein Wunder und es findet sich ein Financier? Das gab es immerhin schon einmal, nach dem Adventskonzert von vor 3 Jahren in Weidenbach. 10 Monate später erstrahlte die alte Orgel in neuem, frischen Glanz - und natürlich Klang.
Orgelbauer – ein Beruf als Mission? Zumindest sollte es die jungen Leute mit Stolz erfüllen, einen sichtbaren Beitrag zur Rettung ihres nationalen Kulturerbes zu leisten.
Ausbildung zum Orgelbauer
Wie wird man überhaupt Orgelbauer? Barbara Dutli, Leiterin der Orgelbauschule und der angegliederten Werkstatt in Honigberg, berichtet von der Suche nach geeigneten Talenten im ganzen Land. Teamgeist, Genauigkeit und technisches Gespür sind die wichtigsten Voraussetzungen, die man nur bedingt erlernen kann. So achtet sie bereits bei den Einstellungstests auf vorhandene Anlagen. Schmunzelnd berichtet die aparte Schweizerin von der Aufgabe, eine Cremeschnitte durchzusägen, ohne dass die Creme herausquillt. Die Lösung? Pssst, nicht weitersagen! Man stellt sie hochkant auf...
Ihre Schüler stammen mit Ausnahme eines schweizerischen Mädels alle aus Rumänien. Konfession oder Ethnie sind unwichtig, allerdings müssen die Schüler gute Deutsch- oder Englischkenntnisse mitbringen, denn ein wichtiger Teil der Lehre besteht aus Austauschpraktika bei Firmen in Europa oder Amerika. Zudem ist ein junger Absolvent nach 3-4 jähriger Lehre noch nicht in der Lage, alleine eine Orgel zu bauen. So begibt sich der frischgebackener Orgelbauer in der Regel erstmal auf Wanderjahre ins Ausland. Die Kontakte hierfür werden schon in der Lehrzeit geknüpft.
Restaurierte Orgel in Honigberg/Hărman bei ihrer Einweihung
Was bewegte die schweizer Orgelbauer Ferdinand Stemmer und Barbara Dutli, ausgerechnet in Rumänien eine Werkstatt zu errichten? Ist es die Liebe zum Land - oder eher der Wunsch, das kostbare sächsische Kulturgut in Transsilvanien zu retten?
In erster Linie geht es ihnen um ein idealistisches Ziel, bekennt Orgelbaumeister Ferdinand Stemmer: die Vermittlung einer international konkurrenzfähigen Ausbildung für junge Leute in Rumänien. Die Idee hierfür entstand, als die beiden Schweizer 1995 erstmals nach Rumänien reisten, um in Chendu nördlich von Schäßburg einen Orgelmotor zu reparieren. Die Reise bescherte ihnen den Auftrag, auch die Chororgel der Schwarzen Kirche in Kronstadt instand zu setzen. Da fiel ihnen erstmals auf, dass es in Rumänien kaum Fachkräfte gab, die sie bei dieser Aufgabe vor Ort unterstützen könnten. So sollten zunächst rumänische Lehrlinge in ihrer Werkstatt in der Schweiz ausgebildet werden, was allerdings an den damaligen Visaauflagen scheiterte. Die einzige Lösung bestand darin, die Ausbildung nach Rumänien zu verlagern.
Orgelbaumeister Ferdinand Stemmer, bei der Überprüfung der Intonation im Inneren der Orgel von Halchiu
Ferdinand Stemmer rief zusammen mit anderen Orgelfreunden in der Schweiz eine Stiftung zur Sammlung von Spendengeldern ins Leben, während seine Kollegin Barbara Dutli die Koffer packte und mutig nach Sanpetru (siehe erstes Bild) zog... Die heutige Orgelbauschule, die nach Schweizer Modell 20 % Theorie und 80 % Praxiswissen vermittelt, wurde in Kooperation mit der Universität Brasov gegründet. Die Schüler – nicht mehr als 4-5 pro Jahr – leben in Honigberg/Hărman im Internat und erhalten einen Lehrlingslohn, da sie bereits aktiv in der Werkstatt mitarbeiten. Noch finanziert die schweizerische Stiftung die Schule weitgehend, doch bald sollen die Gewinne der Produktionsfirma die Kosten der Ausbildung voll tragen. Echte Hilfe zur Selbsthilfe, zumal die Schweizer Gründer planen, sich irgendwann wieder in ihr Heimatland zurückzuziehen. Hierfür werden schon jetzt potentielle Nachfolger unter den ehemaligen Schülern und heutigen Mitarbeitern gezielt gefördert.
"Familienphoto" – Lehrer, Schüler und ehemalige Schüler/heutige Mitarbeiter bei der Einweihung der neuen Orgel der Musikuniversität Bukarest
Engelsgeflüster, Donnergrollen, Kriegsfanfaren, Vogelgezwitscher oder das Kreischen des Windes – in der Orgel vereint sich ein Universum an Klängen und Tönen. Gerade wegen dieser Vielfalt ist die Orgel ein schönes Symbol für Transsilvanien – vor allem aber für das bunte Team an Orgelbaulehrlingen, die trotz unterschiedlicher Ethnien und Konfessionen gemeinsam das Kulturgut ihres Heimatlandes bewahren...
(*) Broschüren von George Dumitriu, welche die bedeutendsten Orgelrestaurierungen fotografisch dokumentieren und viele interessante Details aus dem Alltag der Restaurationsarbeiten verraten, sind unter den folgenden Titeln erschienen: „Deutsch-Weißkirch/Viscri“ (deutsch, rumänisch; vergriffen), „Rothberg/Rosia“ (deutsch; erhältlich am Kiosk in der evangelischen Kirche im Zentrum von Sibiu oder im Atelier in Hărman), „Orga Catedralei Sfantul Iosif din Bucuresti“(erhältlich in der Kathedrale Sfantul Iosif). Zum Bau der gigantischen neuen Orgel der Musikakademie in Bukarest ist erschienen: „Orga Noua“ (rumänisch, englisch).
(**) Mehr zum Thema von Nina May in „Allgemeine Deutsche Zeitung“: Artikel „Die Botschaft der Orgel von Rothberg-Roşia“, „Wirbelstürme in den Tuben“ und zuletzt „Rettet die Orgel von Deutsch-Kreuz“ (7.12.2010).