...oder warum es sich lohnt, eine rumänische Schwiegermutter zu haben
Text: Nina May Fotos: George Dumitriu
Früher vermutete ich, das Wort Palatschinken sei zur gezielten Irreführung der Araber erfunden worden - weil diese nämlich die beliebte österreichische Süßspeise stets mit den Worten ablehnen: “Ich bin Moslem, ich darf doch keinen Schinken essen!” Tatsächlich zeugt die Palatschinke davon, dass das österreichisch-ungarische Imperium, das einst bis ins heutige Rumänien reichte, auch Spuren in der deutschen Sprache hinterlassen hat. Nur so erklärt sich, wie aus der rumänischen Placinta(sprich: platschinta) - einem flachgedrückten, gefüllten Teigfladen oder -röllchen - die ungarische „palacsinta“ und als Folge die österreichische Palatschinke entstand... auch wenn diese spezielle Mehlspeise, auf rumänisch rückübersetzt, nicht mehr „placinta“, sondern “clatite” heißt.
Doch verlassen wir die Gefilde der Amateurethymologie und befassen uns lieber mit den konkreten Aspekten der Placinta. Man kann sie sowohl süß als auch pikant füllen, entweder mit Quark und Rosinen, oder mit Zwiebeln, Lauch, Eiern und deftigem Telemea-Käse, ja sogar mit sauer eingelegtem Weißkohl, mit Eiermilch übergossen... Mein auserkorenes Lieblingsrezept allerdings ist die pikante Kürbisplacinta von „Mama“.
Damit das Nachmachen leichter fällt, wird sie hier am besten als Bildrezept vorgestellt:
Zutaten:
ein Viertel Kürbis von der Sorte “Halloween-Lanterne”
240 g Mehl
1 EL Olivenöl
Salz, Pfeffer
120 g Mineralwasser
eine Zwiebel
zwei Handvoll Walnüsse
1 EL Leinsamen
ein 83-jähriges rumänisches Mütterchen in Flauschebademantel und Kopftuch
Den Kürbis holten wir vom Markt, wobei sich dessen Reifegrad durch an der Schale Riechen oder kräftiges Anklopfen verrät. In der kühlen Speisekammer hält er ewig, sogar im angeschnittenen Zustand.
Für die Placinta hobelt man das Fruchtfleisch mit einer groben Reibe, ohne Schale natürlich. Die Zwiebel erleidet dasselbe Schicksal und wird mit Salz und viel frisch gemahlenem, grobem Pfeffer unter die Kürbismasse gehoben. Das restliche Kürbisfleisch schmeckt später zum Beispiel in Spalten geschnitten und im Ofen gebacken, mit scharfem Knoblauchöl bestrichen, dazu Joghurt mit Minze. Oder als Suppe, mit Zwiebel, Sahne, Dill und Muskatnuss cremig verpüriert und einem Schuss Olivenöl obendrauf. Selbst die Kürbiskerne schmeißen wir nicht weg – sie werden am Dach des Kachelofens getrocknet, dann mit Salzwasser befeuchtet und im Backofen knusprig geröstet.
Den Teig für die Placinta hat „Mama“ natürlich schon lange vorbereitet: Öl, Mehl und Wasser wurden mit einem Löffelchen groben Steinsalzes verknetet und an einem warmen Ort ein wenig zur Ruhe gelegt. Dann wird der Teigball viergeteilt und jedes Stück mit dem Nudelholz auf einer bemehlten Fläche plattgewalzt. Wenn man kein Nudelholz hat, geht auch ein von der Installation der Brunnenpumpe übriggebliebenes Stück Plastikrohr...
Anschließend müssen die Teigfladen über dem Handrücken so dünn wie möglich ausgezogen werden - und zwar, ohne dass ein Loch entsteht, denn dies zu flicken ist fast unmöglich, es reißt immer wieder an der gleichen Stelle auf. Erstaunlich, wie „Mama“ mit ihren knorrigen Fingern einen fast durchsichtigen Fladen hinbekommt!
Die Kürbis-Zwiebelmasse wird inzwischen mit ein wenig Öl in der Pfanne angeschwitzt und zusammen mit ein paar Nüssen auf den ersten Teigfladen gegeben, der eingerollt in der vorgefetteten Form landet.
Drei weitere Röllchen folgen, die sich in der Reihe nahtlos aneinanderschmiegen. Dann wird das Ganze mit dünnen Raspeln aus Kürbisfleisch bedeckt, mit Öl beträufelt und mit Leinsamen und Nüssen bestreut.
Beim Sammeln der Nüsse – das war „Mamas“ Lieblingsbeschäftigung im Herbst – musste sie mit gierigen Krähenschwärmen wetteifern, die sich frühmorgens im Nebel unter dem Baum niederließen und die erbeuteten Nüsse knackten, in dem sie diese aus großer Höhe fallen ließen! Doch meist kam es gar nicht so weit, denn wenn sich die krächzenden Schwärme näherten, stürmte Mama wie von der Tarantel gestochen im Bademantel hinaus und spielte lebende Vogelscheuche. Größer war da schon der biologische Druck seitens der Hunde, die wir nachts, wenn die Nachbarn im Bett sind, gerne mal sausen lassen. Aus der Dunkelheit unter dem Nussbaum hört man dann intensives Schnüffeln, von gelegentlichem Knacken unterbrochen. Wenn das die „Mama“ wüßte! Ganz verborgen wird es ihr wohl nicht geblieben sein, denn die Spuren der vegetarischen Knochen lagen ja noch unter dem Baum. Aber auch die Mäuse im Schuppen bedienten sich gerne an den kostenlosen Nüssen, die sie in ihre Löcher zogen oder schon davor verdrückten. Wie zum Hohn blieb das Schalenhäufchen vor dem Mauseloch zurück. Bis sich unsere Katzen an den Mäusen bedienten... und sie ihrerseits verdrückten: „Hmm, Mäuse mit Nussfüllung!“ Im Volksmund sagt man, wenn es viele Nüsse gibt, dann wird der Winter hart. Nachdem wir die vollen Körbe in der Speisekammer sahen, die Mama von nur einem Baum gesammelt hatte, bestellten wir schnell eine Zusatzfuhre Holz! Übrigens brennen auch Nussschalen hervorragend. Ihr Heizwert ist allerdings so hoch, dass der Ofen springen kann, wenn man zu viele auf einmal ins Feuer schmeißt!
Weil holzgeheizte Kachelöfen keine Zeiteinstellung oder Temperaturangaben kennen, geschweige denn Blechstufen und Vorheizfunktion – allenfalls läßt sich die Temperatur (wie man im Bild sieht) mit hinzugefügten Ziegelsteinen manipulieren - versammeln wir uns mit einem Gläschen selbstgemachtem Weißwein zur vorfreudigen Ofenwache. Während das Feuer heimelig prasselt, lauschen wir Mamas Anekdoten aus der guten und nicht immer ganz so guten alten Zeit...
Der unerklärliche Pilze-Segen
Als ältestes von vier Kindern wuchs Ioana Dumitriu, geb. Felea, in Fărtaneşţi auf, einem sechs Kilometer von der ukrainischen Grenze gelegenen Dorf im Landkreis Galaţi. Die Eltern waren Bauern und arbeiteten den ganzen Tag auf dem Feld. So musste die kleine Ionica, wie sie liebevoll gerufen wurde, schon mit sieben Jahren lernen, für die ganze Familie das Abendessen zuzubereiten. Ohnehin gab es meist Maisbrei – Mamaliga genannt – den man jedoch auf dem Holzherd ausdauernd rühren muss, weil er sonst ratzfatz heimtückisch anbrennt. Als es doch einmal passierte, galt es, das Malheur so unauffällig wie möglich zu entsorgen, sonst riskierte man eine Tracht Prügel (auf rumänisch: „mama de bataie“, eine „Mutter der Schäge“). Wohin also mit dem verbrannten Sterz, dachte das Mädchen fieberhaft? Ab ins Klo? Aber nein, es gab ja keine Spülung in dem Holzhäuschen im Hof. In ihrer Not begrub die Kleine das Corpus delicti unauffällig in einer Ecke im Garten. Inständig hoffte sie, dass niemand die Untat entdecken würde... Noch ein- zwei Mal wurde auf diese Weise angebrannter Maisbrei entsorgt. Umgestochen hat zwar niemand – dafür sprossen dort bald die prächtigsten Austernpilze! Alle rätselten über die Ursache des unverhofften Pilze-Segens... nur die kleine Ionica schwieg eisern. Beinahe wäre ihre großartige Entdeckung ungewürdigt in der Geschichte versunken. Wenn uns mal eine Mamaliga anbrennt, dann werden wir uns überhaupt nicht ärgern, sondern rasch den Spaten holen und uns auf baldige reiche Ernte freuen!
Wir verkneifen uns jetzt den vorzeitigen Blick ins Ofenrohr, damit sich die Hitze beim Öffnen nicht verflüchtigt. Lieber noch ein Gläschen Wein und ein paar Geschichtchen...
Der vielsagende Bohnenfurz
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges, als in Rumänien eine extreme Dürreperiode herrschte, litten viele Menschen unter Hunger. Die hauseigenen Vorräte waren aufgegessen und es gab nichts zu kaufen. Selbst an Grundnahrungsmitteln - etwa Bohnen - mangelte es im Dorf. Eines Tages standen ein paar Nachbarn am Brunnen versammelt und tauschten Klatschgeschichten aus. Eine Bäuerin, die es geschafft hatte, von irgendwoher Bohnen zu beschaffen, zwackte es nun gewaltig in den Därmen. Als das nur allzu menschliche Malheur passierte, zog sie sich rasch zurück, um nicht als Urheberin der Peinlichkeit identifiziert zu werden. Zu spät! Sie war schon auf dem Heimweg, als einer der Dörfler hinter ihr herlief und beim Überholen unauffällig flüsterte: “Tanti, bitte verrate mir - woher hast du die Bohnen!”
Der gepflügte Weg
Guter Rat war teuer, als nach der Dürre das eigene Saatgut aufgebraucht war und es immer noch keines zu kaufen gab. Wovon sollte man nun die Felder bestellen? So berieten sich die Dörfler, doch niemand hatte eine rettende Idee. Bis Tanti Ionica in einem Geistesblitz rief: “Pflügt doch einfach den Weg!” Die Bauern sahen sie erst unverständig an. Dann ging einem nach dem anderen ein Lichtlein auf: dort, wo die Erntewägen ständig entlang fuhren, müssen doch jede Menge Samen zu Boden gefallen sein, die in der Dürrezeit nicht aufgegangen waren! So bearbeiteten die Bauern statt den Feldern diesmal den Weg – und tatsächlich, bald sprossen Pflänzchen über Pflänzchen, die auf den Feldern ausgesetzt werden konnten!
Nun aber duftet es verführerisch aus dem Ofenrohr. Schnell den Tisch gedeckt. Hier das köstliche Ergebnis: