Verborgene Symbolik in den orthodoxen Klosterkirchen
Text: Nina May Fotos: George Dumitriu
Wie eine zerbrechliche bunte Perle leuchtet das Kloster Suceviţa am Grund der Hügelkette auf, umgeben von tiefen, dunklen Wäldern bis zum Horizont. Ringsum wiegen sich semmelblonde trockene Gräser im Herbstwind. Hier oben, auf dem Hügel mit dem kleinen Holzkirchlein gegenüber des berühmten Klosters hat man nicht nur einen hervorragenden Ausgangspunkt zum Fotografieren. Man fühlt sich auch weit weg vom Alltag, dem Fluß der Zeit enthoben, dem Himmel zum Greifen nahe. Transparent schimmert der silberne Mond durch das tiefblaue Firmament. Wie klein, wie unbedeutend wir doch sind! Und doch ist unser Bewusstsein in der Lage, die Idee eines vollkommenen Ganzen zu erfassen. Aus wenigen Fragmenten versuchen wir, einen Teil des kosmischen Puzzlebildes zu erahnen. Es ist dieses ständige Sehnen, das unsere Spiritualität ausmacht.
Beim Abstieg des Hügels gegenüber des Klosters Sucevița
In dem Versuch, einmal erlangte Geheimnisse festzuhalten und an spätere Generationen zu vermitteln - auch ohne Schrift und damit für das einfache Volk zugänglich - gibt es in jeder Kultur einen bildhaften Symbolismus. Einen solchen finden wir vor allem in den Moldauklöstern. Wer ihn einmal durchblickt, wird schnell feststellen, dass die buntbemalten Klöster nicht nur in ihrer künstlerischen Ausführung, sondern auch in ihrer spirituellen Symbolik dem alten Ägypten um nichts nachstehen. Ein ungewöhnlicher Vergleich? Gewiss...
Der Gang zum Altar als Einweihungsritual
Die Pracht der bemalten Moldauklöster erregte seit jeher die Aufmerksamkeit der Menschen als Kontrast zum täglichen Umfeld. Von Weitem zeigte der Kirchturm wie ein wegweisender Pfeil gen Himmel, den Ort, wo man den Herrgott vermutete. Bunte Bilder an den Fassaden erklärten auch den Schriftunkundigen die Bibelgeschichte, den Weg der Seele von der Taufe bis zum Tod, das jüngste Gericht und die Auferstehung, die Himmelssphären und Engelshierarchien. Doch das wahre Geheimnis der bemalten Moldauklöster entfaltet sich jenseits dieser einfachen Darstellungen. Tatsächlich repräsentiert der Weg durch die Kirche, den der Gläubige vom Eingangstor bis zum Altar zurücklegt, das spirituelle Wachstum der Seele. Ein meditativer Gang also, gesäumt von wegweisenden Symbolen, die auf den Moment vorbereiten, wo man - in der Liturgie einstimmt auf die Engelwelten - unter dem Turm des Pantokrators mit Jesus und damit Gott verschmilzt. Der meditative Singsang der orthodoxen Gebete, der würzig-warme Geruch des Weihrauchs - all dies sind Hilfsmittel in diesem der Bewusstseinserweiterung dienenden Gang, als Vorbereitung für das erleuchtende spirituelle Erlebnis.
Voroneţ: Einweihungsgang vom Pronaos bis in den Naos
Freilich ist diese Idee der Einweihung nichts wirklich Neues. Bedient sich doch jeder Kult - egal ob christlich, vorchristlich, aus unserem Kulturkreis oder weit entfernt - Riten und symbolischer Handlungen stets mit dem gleichen Ziel: dem Loslassen der Belange des Alltags, der Hinwendung zu seelischen Dimensionen. Die Kahunas, Schamanen der hawaiianischen Ureinwohner, erklärten die Wirkung religiöser Riten, unterstützt durch Gerüche, gesprochene Formeln, monotonen Sprechgesang oder symbolische Handlungen - dadurch, dass der unterbewusste Seelenanteil damit zur Konzentration auf das Gebet gezwungen wird. Beschäftigt man diesen, kann er nicht durch unzweckmäßige Gedanken oder Gelüste vom angestrebten spirituellen Ziel abschweifen. Nur dann erlangen die Gebete ihr Ziel, so die Schamanen.
Tatsächlich stellte auch die moderne Wissenschaft fest: Während Weihrauchdämpfe bestimmte Ionenkanäle der Nervenzellen öffnen, beeinflussen monotone Gebetsformeln und der typische Singsang der Mönche den Rhythmus der Gehirnwellen. Das Zeitempfinden ändert sich und wie bei der Meditation verschiebt sich der Fokus der Wahrnehmung. Das Bewusstsein öffnet sich für spirituelles Erleben.
Auch die Alten Ägypter maßen kultischen Symbolhandlungen hohe Bedeutung bei. So muss es nicht verwundern, dass in ihren Gottesdiensten dieselben Elemente wie heute in der orthodoxen Kirche - Weihrauch, rituelle Prozessionen, monotone Gebetsformeln und Gesänge - zum Einsatz kamen. Letztere gelten sogar als Vorläufer der heutigen christlichen Kirchenmelodien und sollen diesen immer noch sehr ähnlich sein. Über die koptische Kirche wurden sie ans Christentum „vererbt“.
Symbolik von Westen und Osten
Nicht von ungefähr sind die orthodoxen Klöster in der Bukowina - wie auch ägyptische Tempel - von Westen nach Osten ausgerichtet. Im Westen liegt stets der Eingang mit der Darstellung des jüngsten Gerichts. Ein besonders beeindruckendes Exemplar finden wir in Voroneţ, wo das Fresko die gesamte Westwand einnimmt. Im Westen beginnt der spirituelle Weg des Gläubigen beim Eintreten in die Kirche mit seinem symbolischen Tod und der Verurteilung im jüngsten Gericht.
Das Fresko zum jüngsten Gericht bedeckt die gesamte Westwand der Klosterkirche von Voroneț. Zurecht wird diese wegen ihrer prachtvollen Außenfresken auch als „sixtinische Kapelle des Ostens“ bezeichnet.
Auch im Alten Ägypten traten im Westen die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt ein, wo sie zuerst einen Vorraum, eine Art Zwischenwelt, durchqueren mussten. Wer die Pforten dieser Zwischenwelt hinter sich geschlossen hatte, für den gab es keine Wiederkehr. Vor dem Eintritt in das eigentliche Totenreich gab es ein Gericht, wo die Wahrheitsgöttin Maat das Gewicht der Herzen gegen eine Feder aufwog. War das Herz zu schwer, wurde der Sünder dem großen Verschlinger preisgegeben, oder er musste im Feuersee schreckliche Qualen erdulden: bei lebendigem Leib in Kesseln sieden oder auf dem Kopf stehen und seinen eigenen Kot essen. Tatsächlich finden wir auch auf den Fresken der orthodoxen Klöster frappierend ähnliche Motive: das jüngste Gericht auf der Westwand zeigt Teufel, die verurteilte Seelen mit langen Spießen in den gefräßigen Schuld eines feuerspeienden Höllentiers stoßen. Sünder sitzen nackt in Kochtöpfen oder werden gefesselt über dem Feuer geröstet.
Klosterkirche Humor, Westwand: Hier werden die Seelen gewogen und auf Himmel oder Hölle verteilt.Popoklopfer von Horezu: Dieser Popoklopfer-Teufel ziert das Fresko
Im östlichen Teil der orthodoxen Kirchen liegen der Altar und der Turm mit der Pantokrator-Kuppel, unter der das Konterfei von Jesus, dem Erlöser, das Ziel des spirituellen Weges anzeigt. Auch bei den Ägyptern galt der Osten als Symbol für Auferstehung und Wiedergeburt. Im Osten, so die ägyptische Mythologie, trat der Sonnengott Ra nach seiner gefährlichen Nachtfahrt durch die Unterwelt, wo allerlei Gefahren drohten, verjüngt wieder ans Tageslicht - und mit ihm alle Seelen, die er in der Verkörperung des Totengottes Osiris vorher aus ihren Gräbern rief.
Vorchristliche Auferstehungsbotschaft
Interessant in dieser Hinsicht ist die Rolle des Osiris, der Frühlingsbeginn, Geburt und Auferstehung symbolisierte. Die Mythologie präsentiert mit der Osirislegende eine Art vorchristliche Auferstehungsbotschaft: Osiris soll einst als König regiert haben, bis ihn sein Bruder Seth hinterrücks ermordete, zerstückelte und über das ganze Land verteilte. Seine Schwestergemahlin Isis jedoch flickte den Körper in einer Tierhaut zusammen und hauchte ihm neues Leben ein. Von da an herrschte er als Gott über die Unterwelt, der den Seelen der Verstorbenen Auferstehung verhieß. Seit der Zeit Echnatons (1351-1334 v. Chr.), einem visionären Pharao, der den Eingottglauben einzuführen suchte, war die Auferstehung nicht nur dem König, sondern auch einfachen Menschen möglich. Im Tempel von Dendera feierte man bis zur ptolemäischen Zeit jeden Frühling die Auferstehung von Osiris mit buntgefärbten Eiern. Auch in der Bukowina spielt das Eierfärben - oder besser gesagt, das filigrane Dekorieren von ausgeblasenen Eiern mithilfe spezieller Techniken - eine große Rolle und hat sich zu einer bis heute praktizierten Volkskunst entwickelt. Im christlichen Glauben steht das Färben von Eiern zu Ostern für die Auferstehung von Jesus. Auch wenn vielfach erklärt wird, der Brauch des Eierfärbens symbolisiere das Blut Christi, das auf einen unter dem Kreuz stehenden Korb voller Eier geflossen sein soll, kann diese Erklärung auf die in der Bukowina praktizierte Kunst nicht uneingeschränkt zutreffen. Denn dort sind die Eier bunt, wobei Farben, Motive und Symbole bestimmte Gegenden repräsentieren. Neben christlichen, bäuerlichen, floralen und zoomorphen Symbolen gibt es viele Motive vorchristlicher Herkunft. Wundern muss einen dies nicht, steht doch das Ei in vielen Kulturkreisen als Symbol für Geburt, Frühling und Neubeginn.
Das Ei - in vielen Kulturen ein Symbol für Frühling, Wiedergeburt und Neubeginn (hier aus der Kollektion von Lucia Condrea, Moldovita).
Die Kirche als Maß für spirituellen Raum
Pfarrer Gabriel Herea aus Patrăuţi interpretiert den Kirchenraum der orthodoxen Klöster der Bukowina in seinem Buch „Pilgerreise in den heiligen bukowinischen Raum“ („Pelerinaj in spaţiul sacru bucovinean“) als Maß für spirituellen Raum und spirituelle Zeit. Mit dem Eintritt durch den Pridvor (Vorraum) bzw. durch das Tor in der Westwand verabschiedet sich die Seele symbolisch gesehen von ihrem materiellen Leben.
Auch die Kirche von Patrăuti gehört zum UNESCO Weltkulturerbe Rumäniens. Der dortige Pfarrer bietet interessante Führungen durch das kleine, kostbare Kirchlein.
Der Pridvor, der sich außerhalb des Kirchenschiffs befindet, hat dabei eine ähnliche Funktion wie die Zwischenwelt der Ägypter. Er bildet den Übergang vom natürlichen in den sakralen Raum. Hier finden sich noch irdische Symbole - wie in Suceviţa im linken Eingang, wo seltsame Untiere, irdene Vasen und Pflanzen in naiver Form abgebildet sind. Zoomorphe Figuren symbolisieren das Unterbewusstsein, während das Pferd für die menschlichen Tugenden steht. Auch in Moldoviţa und Humor erkennt man auf den bebilderten Säulen des Pridvors vorwiegend irdische Themen: Die Geschichte der Menschheit in drei Etappen, die den drei Räumen zwischen den Säulen entsprechen - Genesis, Sündenfall und alles, was danach kam. Dann kommt das obligate jüngste Gericht an der Westwand, über dem fast immer die Seelenwage abgebildet ist (Arbore, Moldoviţa, Voroneţ, Humor).
Moldoviţa: auf den Säulen im Pridvor ist die Geschichte der Menschheit angebildet - Genesis, Sündenfall und alles, was danach kam.
Durch die „Feuertore des Himmels“ betritt die Seele anschließend den Pronaos, den ersten Teil der jenseitigen Welt. Hier findet die Vorbereitung auf das spirituelle Erlebnis statt, unterstützt durch entsprechende Bildergalerien. Die in der orthodoxen Kirche so beliebten Heiligen fungieren als Vorbilder und Lehrer auf diesem Weg. In Humor und Patrauţi wird der Teil des Weges vom Pronaos bis zum Naos durch ein Labyrinth symbolisiert: die untersten Teile der Wände sind mit feinen, verästelten Linien dekoriert. Sie haben vermutlich denselben Ursprung wie die gedrehte Kordel („funia rasucita“) in den Maramurescher Holzkirchen, deren rot-weiß bemalte Windungen Glück und Unglück, positive und negative Kräfte im Leben und damit die Polarität der materiellen Welt symbolisiert, die sich mit dem Übergang ins Himmelreich auflöst. Die Irrungen und Wirrungen des materieorientierten Lebens sind dann überwunden. Vor dem Tor zum Naos endet daher auch das Labyrinth, dessen Durchwanderung einer spirituellen Einweihung gleichkommt.
Suceviţa Labyrinth: Das Ende des Labyrinths wird auch oft durch einen Vorhang symbolisiert.
Entsprechendes Pendent in den Unterweltsbüchern der Alten Ägypter ist die Fahrt durch verschiedene Gebiete des Totenreichs, in denen der Seele noch allerlei Gefahren auflauern: blutrünstige, messertragende Pfortenwächter, die die Tore zwischen den Bereichen schützen und begierig verirrte Seelen einschlürfen, die Weltenverschlingerschlange Apopi oder Osiris‘ Bruder und Widersacher Seth, der - als langohriges, geschwänztes Tier dargestellt - die bösen Kräfte der Dunkelheit verkörpert, so wie der gefallene Engel Luzifer.
Ein Teil des Pronaos, der jedoch nicht in allen Klöstern der Bukowina existiert, ist die Grabkammer (gropniţa) mit dem Grab der Begründer des Klosters. Stets Teil des Pronaos, tauchte sie erstmals im Kloster von Putna auf, wo Stefan der Große begraben liegt. Auch die Klöster Probota und Voroneţ verfügen über eine echte Gründergrabkammer, während sie in Moldoviţa nur symbolischer Natur ist. Symbolische Grabkammern sind übrigens auch aus dem Alten Ägypten bekannt.
Der Übergang zum Naos, dem eigentlichen spirituellen Raum, wird von den Erzengeln Michael und Gabriel bewacht. Hier trennt sich die sichtbare von der unsichtbaren Welt! Im Naos, der Altar und Pantokrator Turm beherbergt, findet das wahre spirituelle Erlebnis statt. In diesem Raum wird in orthodoxen Kirchen die heilige Lithurgie gefeiert - jene Zeremonie, an deren Ende die Seele des Gläubigen Gott bzw. Jesus begegnet. Eine Verbindung, die der Heilige Geist vermittelt, der hierfür aus den Höhen des Turmes herabsteigt. Während der Lithurgie darf der Pfarrer die Kirche nicht mehr durch den Pronaos verlassen.
Suceviţa: der Turm mit der Pantokrator Kuppel, in dessen Zentrum das Konterfei von Jesus abgebildet ist.
Ikonostasis und Altar hingegen symbolisieren keinen Übergang mehr, obwohl sie den Naos physisch durchtrennen. Laut Orthodoxie stehen die Türen zum Altar (uşile imparateşti) für die metaphysischen Aspekte der Zeit und des Kosmos (Sf. Maxim Mărtusisitul, „Mystagogia Cosmosului si Sufletului, chirpuri ale bisericii“), während Turm und Kuppel die Öffnung zum Himmelreich, die Himmelfahrt von Jesus oder der erlösten Seele, symbolisieren.
Das Geheimnis des richtigen Gebets
In der hawaiianischen Kahuna Magie wird die Verbindung zu Gott im Gebet durch eine Vereinigung der drei Wesensanteile der Seele herbeigeführt. Die Absicht zum spirituellen Erleben geht dabei vom Ego aus, des weiteren muss das „niedrige Bewusstsein“ (eine Art kindliches Gemüt mit unterbewussten Anteilen) durch rituelle Handlungen dazu bewegt werden, sich ohne Abschweifung zu beteiligen. Zuletzt kommt der wichtigste Seelenanteil ins Spiel, das göttliche oder höhere Bewusstsein, das nur durch das Erzeugen von erhabenen Gefühlen zu einer Teilnahme am Ritual überzeugt werden kann. Schamanen nutzen hierfür Trommelmusik, Tanz oder Räucherwerk. In der orthodoxen Kirche bewirkt der melodiös-monotonen Gesang der Mönche oder Nonnen, die mystische Dunkelheit und der Weihrauchduft die entsprechende Atmosphäre. Sind alle drei Seelenanteile erfolgreich im Gebet vereint, gewinnt das Gebet gegenüber anderen Gedanken an Gewicht, so die Kahuna. Nur so kann es als Träger von Wunschformeln fungieren, die sich als Folge in der materiellen Welt niederschlagen. In orthodoxen Kirchen findet man häufig kleine Zettelchen - die sogenannten „pomelnice“ - auf denen die Gläubigen Genesungswünsche oder andere Bitten für sich und ihre Nächsten schreiben. Die Übermittlung an Gott geschieht jedoch nicht im individuellen Gebet, sondern wird vom - erfahrenen Priester vorgenommen.
Eshaton, Traumzeit oder Engelszeit
In der Orthodoxie, erläutert Pfarrer Herea in seinem Buch, soll die heilige Lithurgie den Menschen einen Vorgeschmack auf eine andere Zeit im Himmelreich geben. Schon auf dem Weg vom Pronaos zum Naos weisen Engel auf den bevorstehenden Zeitenwechsel hin: durch das hinter sich Lassen von astrologischen oder solaren Symbolen oder das Einrollen des Zeitpergaments. Im Naos existiert nur die Zeit der Engel, das sogenannte Eshaton. Dies ist insofern interessant, als bewusstseinserweiternde Zustände, die als Voraussetzung für das spirituelle Erleben gelten, tatsächlich von einem veränderten Zeitempfinden begleitet sind. Für die Kahuna ist der Zugang zu dieser übergeordneten Zeit die Basis für die Wirksamkeit jedweden Gebetes. Auch die australischen Eingeborenen kennen einen ähnlichen Begriff: die Traumzeit. Damit bezeichnen sie sowohl die Vergangenheit vor der Erschaffung der Erde, als auch ein zeitliches Instrument, in der eine Veränderung der materiellen Realität - zur Heilung oder Wunscherfüllung - möglich ist. Laut Herea verkörpert der Aufstieg der Seele auf der Leiter der Tugenden, auch Jakobsleiter genannt, den Zugang zum Eshaton durch Liebe - oder Vereinigung mit Christus. Durch die Taufe, deutet der Autor an, wird bereits eine erste Verbindung vorgebahnt. Der Kirchturm mit der Pantokrator-Kuppel kann damit als „Höhendimension der Zeit“ interpretiert werden: als Y-Achse sozusagen, die sich von der linearen X-Zeitachse, die vom Pridvor bis zum Naos führt, unterscheidet.
Suceviţa: Die Leiter der Tugenden oder Jakobsleiter führt über 30 von je einem Engel bewachten Stufen direkt ins Himmelreich. Wer scheitert, wird in die Hölle hinuntergestoßen. Auf den letzten beiden Stufen - bedingungslose Liebe und Hoffnung - streckt einem Jesus die Hand entgegen...
Geometrische Symbole
Die häufigsten geometrischen Symbole in den Klosterkirchen der Bukowina sind das Quadrat, der Kreis und der Rhombus. Ersteres steht mit seinen vier Ecken für die vier Himmelsrichtungen, oder aber für die drei Raumdimensionen und eine Zeitdimension, zweiteres für den Himmel selbst. Der Kreis als Vieleck mit unendlicher Eckenzahl suggeriert dann wohl die Unendlichkeit himmlischer Raumzeit-Dimensionen - vielleicht spricht man ja auch deswegen vom Himmel im Rumänischen oft in der Pluralform („ceruri“). In der Kirche werden himmlische Gestalten, aufgestiegene Seelen oder Szenen aus dem Leben im Himmelreich daher stets in einem Kreis dargestellt. Am unteren Teil des Altars oder des Amvons findet man dagegen häufig das Rautensymbol - eine um 90 Grad gedrehtes Quadrat, eine parallele Welt, wenn man so will. Es steht für Jesus als Fundament des Glaubens, als symbolischer Grundstein der Kirche.
Klosterkirche des heiligen Johannes dem Neuen, Suceava: Wie Zwiebelschalen öffnen sich die Sphären des sakralen Raums, bis sie den Himmel (Kreis in der Mitte) freigeben - nun kann von dort eine Botschaft an die Menschen durchgegeben werden.
Aus “Komm mit durch Rumänien“, ADZ-Verlag, Bukarest 2013