Junge Burschen ziehen in Tracht von Haus zu Haus - Persönliche Erinnerungen an Silvesterbräuche in Siebenbürgen
von Roland Barwinsky
Im siebenbürgischen Großau (Cristian) bei Hermannstadt (Sibiu) zu Beginn der 1990er Jahre: Urplötzlich war es mit der Ruhe in der schneebedeckten Gasse am Fluss Zibin vorbei. Ein gut aufgelegter sowie farbenfroher Pulk zog recht lautstark durch diesen Teil des Dorfes. Ich befand mich zu jener Zeit gerade auf intensiver Spurensuche in Rumänien und wollte vor Ort eigene authentische Weihnachtserlebnisse in dieser Region reaktivieren und zugleich neue Eindrücke gewinnen.
Franz Holzinger - ein aus diesem Dorf stammender Rumäniendeutscher - empfahl das jetzt erwartbare Spektakel genauer zu begutachten. Immerhin handelte es sich um ein Ereignis aufblühender plus sichtbarer Lebensfreude. Kurz danach näherten wir uns den recht aufgeweckten Burschen, welche umherzogen, um auf verschiedenen Gehöften den jeweiligen Bewohnern ein gesundes und neues Jahr zu wünschen. "Kurz vor Silvester kommt aus den umliegenden Gemeinden diese männliche Jugend in unser Dorf", wusste Franz umgehend zu berichten. Angezogen haben diese jungen Leute selbstverständlich ihre farbenfrohen Trachten, welche von Generation zu Generation vererbt werden. Als die recht lustige Meute einige Minuten später uns "Deutschländer" erblickte, wurden wir sofort heran gewunken und eingeladen, diese ganze Zeremonie hautnah anzusehen und nach Möglichkeit mit Fotos zu dokumentieren.
Die Vorstellung bei recht frostigen Temperaturen begann mit allerhand schrillen Tönen am Straßenrand in unmittelbarer Nähe des Gehöftes. Es wurde getanzt, gefeixt, gelacht und vor allem kraftvoll gesungen sowie feurig mit Blasinstrumenten musiziert. Das Ziel der Gruppe bestand hauptsächlich darin, irgendwie friedvoll auf das anvisierte Anwesen zu gelangen. Unmittelbar vor dem Eingangstor bildeten die aktiv daran Beteiligten richtige Kreise und zelebrierten umgehend sowie minutenlang eine fast theaterreife Show mit hohem Unterhaltungswert.
Dem jeweiligen Hauseigentümern musste kurzerhand vor allem klar gemacht werden, dass man solchen putzmunteren Gäste möglichst schnell die Haustür öffnen muss. Nachdem alle "unangemeldeten" Besucher den betreffenden Familienverband von den eigenen guten Absichten zweifelsfrei überzeugt hatte, ging es im Inneren des Gebäudes genauso kunterbunt weiter. Für vorbei schauende Neugierige, also auch für zufällig erschienene Weitgereiste, stand außerdem in der guten Stube ein kleines Willkommensbüffet bereit. Schnell reichten die Gastgeber jedem Kaffee, Kuchen, Wein und natürlich hochprozentigen Rakiu bzw. Tzuika. Einem selbstgebrannten Schnaps, ohne den in Transsilvanien einfach keine Feier stattfindet. Die aufgedrehten Burschen hielten außerdem - einer nach dem anderen - kurze Ansprachen. Dabei wünschte man der betreffenden Familie selbstverständlich viel Glück sowie "mult Sânâtate" - was "viel Gesundheit" bedeutet - für das bevorstehende neue Jahr. Kaum zu glauben, dass so eine lustige Truppe an einem einzigen Nachmittag hintereinander gleich mehrere Straßen mit vielen Gehöften gezielt aufsuchen kann. Um auf diese Art und Weise den bevorstehenden Silvestertag möglichst lebendig einzuleiten. Denn das Ganze ist durch die ständige Bewegung, das viele Musizieren und Singen sowie die überall bereitstehenden aufputschenden Getränke, oftmals eine recht schweißtreibende plus kräftezehrende Angelegenheit.
Aber wehe dem, der diesen aufgeweckten Jungs einfach so den Einlass verwehrt. Solchen Mitbewohnern soll später ein Fluch erreichen, erfuhren wir. Praktisch passiere so etwas natürlich niemals. Diese beschriebene und vor Ort sehr emotional betriebene Brauchtumspflege wiederholt sich seit Urzeiten. Und gehört somit längst zu den ultimativen Höhepunkten des lokalen Kulturkalenders in Siebenbürgen und bestimmt auch anderswo in Rumänien.
Über den Autor: Roland Barwinsky, 1963 in Sachsen-Anhalt geboren, machte 1981 das Abitur in Lützen. Es folgten Armee, mehrere Studienplätze- und Arbeitsstellen. Ab 1988 war er in verschiedenen Büchereien tätig und wurde Bibliotheksfacharbeiter. Seit Beginn der 1990er Jahre schreibt der Autor regelmäßig für verschiedene Tageszeitungen. Ausgedehnte Tramptouren führten ihn einst durch Osteuropa. Dort verliebte er sich in die Landschaft und Menschen von Siebenbürgen. Ein historisches Gebiet im südlichen Karpatenraum, welches der 50jährige noch heutzutage regelmäßig aufsucht.