Im Frühjahr waren wir wieder mit unserer abenteuerlustigen Reiseleiterin Alina Baidoc und unserem liebenswürdigen Fahrer Gabriel Iacob von Authentic Romania unterwegs. Auf vier Reifen tourten wir durch das frühlingszauberhafte Karpatenland. Begleitet wurden wir von blühenden Landschaften und den schneebedeckten Gipfeln des Fagaras-Gebirges, über das sich ein strahlend blauer Aprilhimmel wölbte – und manchmal auch von Kühen. Bei angenehmen frühsommerlichen Temperaturen genossen wir die Vielfalt des Landes.
Aber in diesem Adventskalenderbeitrag soll es nur um einen einzigen Tag unserer Rundreise gehen, genau genommen sogar nur um einen halben! Nämlich um den Vormittag des 23. April 2018 ...
An dem Montag steht eine Fahrradtour durch siebenbürgische Dörfer auf dem Programm. Am Vorabend sind wir in Viscri (dt: Deutsch-Weißkirch) angekommen, jenes durch Prinz Charles berühmt gewordene Vorzeigedorf, wo wir in einem zum Gästehaus umfunktionierten typischen Sachsenhaus übernachtet haben.
Die Kirchenburg von ViscriMorgendliche Lagebesprechung im Sachsenhaus
Nach dem Frühstück besprechen wir den Tagesablauf, welcher nach der Fahrradtour – von Bunești nach Meșendorf und zurück – eine Weiterfahrt zum Mittagessen in Sighișoara (Schäßburg) vorsieht und nach einer gemütlichen Stadtbesichtigung die nächste Übernachtung in Mălâncrav (Malmkrog).
Von Viscri fahren wir ein kurzes Stück nach Bunești und leihen uns beim Bike Check Inn Fahrräder. Aber bevor es losgeht, werden wir auf ein Glas selbst zubereitete Holunderlimonade auf die großzügige Terrasse gebeten. Man kommt ins Gespräch. Die beiden jungen Männer, Sorin und Cornel, erzählen, dass sie am Morgen eine Bärenspur auf ihrer Pferdeweide entdeckt haben. Es ist ihnen allerdings ein Rätsel, wie dieser es über die Abgrenzung dorthin geschafft haben soll. Sie wollen uns die Stelle zeigen, und so folgen wir einem der beiden auf die Weide, wofür wir zunächst einen fröhlich plätschernden Bach überqueren müssen. Und damit uns dies trockenen Fußes gelingt, legt er eigens für uns Steinblöcke ins Wasser.
Auf der Weide angekommen begrüßen uns zwei braune Hengste. Einer von ihnen drängt sich sofort vor und fordert Streicheleinheiten. Er ist ein Macho und stammt aus Italien, erklärt uns Cornel. Der andere Hengst steht verhalten daneben und schaut skeptisch zu, was hier vor sich geht. Er ist – bezeichnenderweise – ein Deutscher. Dann wendet er sich gelangweilt ab.
Wir nähern uns dem „Tatort“ des unerlaubten Betretens. Und tatsächlich ist am Rande der Weide, beim Übergang zur nächsten Weide, ganz deutlich der Abdruck einer Bärentatze im Boden zu erkennen – oder?
SuchbildHaben die beiden etwa nicht aufgepasst? Sie lassen sich jedenfalls keinen Bären aufbinden!
Das Rätsel können wir zwar auch nicht lösen, sind aber ziemlich beeindruckt von dem eindeutigen Beweis, dass wir uns in einem Bärenland befinden.
Danach soll es nun auf die Drahtesel gehen. Sorin legt Helme heraus, ich bin erstaunt. Keiner greift danach. Ich staune wieder. Aha, der Pflicht Genüge getan, kommen wir also zum Vergnügen. Die Dorfstraße scheint nicht schlaglöchrig zu sein, schön breit, wenig Verkehr, also keine besondere Herausforderung. Schließlich bin ich wöchentliche Fahrten mit meinem Hausfrauenfahrrad gewöhnt. Was ich zu dem Zeitpunkt jedoch nicht ahnen kann, ist, dass wir die vorgesehene Strecke nicht auf stinknormalen Tourenrädern, sondern auf Mountainbikes machen werden. Ich aber bin nur Rücktrittbremse mit maximal sieben Gängen auf Asphalt gewöhnt.
Drum erkläre ich Alina, dass ich ein Mountainbike nicht fahren kann. Kaum dass ich weiß, wie ich so etwas besteigen soll. Die Mischung aus Fassungslosigkeit und Enttäuschung auf ihrem Gesicht macht mir augenblicklich klar, dass ich jetzt auf gar keinen Fall kneifen darf. Sie hat sich doch schon so sehr auf diese Tour gefreut und ich kann dem Kind unmöglich den Spaß verderben. Also ein paar Runden auf der Straße gekurvt, um das Schalten und Bremsen zu üben, und dann geht’s auch schon los.
Vier Zweiradfahrer mit treuem Begleiter auf vier Pfoten
Aber Pustekuchen! Nicht auf der bequemen Dorfstraße, nein, geradewegs hinein ins Gemüse! Ja doch, die Strecke ist absolut idyllisch, entlang an Wiesen und Feldern und rauschenden Bächen. Doch bekomme ich davon kaum etwas mit, zu sehr konzentriere ich mich auf den Untergrund. Denn steinharte Ackerfurchen und auf schmalem Pfad zwischen hohen Grasnarben liegende Felsbrocken lassen meinen Hinterreifen immer wieder wegschmieren. Und dann geht es dabei ja auch noch bergauf und bergab und zwar ziemlich steil! Für eine betagte Frau wie mich fast schon mehr als eine Herausforderung.
Gabriel bleibt die ganze Zeit treusorgend hinter mir. In meine Handflächen drücken sich nach kürzester Zeit die Riffel des Lenkers, Knöchel und Schienbeine weisen Blessuren von spontanen Sprüngen vom Rad auf. Sorin sei Dank, der meine wenig entspannte Miene bemerkt und überhaupt sehr aufmerksam ist, machen wir eine kurze Pause.
Ein Pferd nähert sich uns neugierig. Ich streichle es, als es plötzlich auf mein neben dem Weg abgelegtes Fahrrad stiert und sich zielstrebig in dessen Richtung bewegt. Was hat es vor???
Unfassbar, der Duft von Dunlop muss es angelockt haben, denn es hält die Reifen offensichtlich für eine Delikatesse. Unverzüglich beginnt es daran zu knabbern! Ich kann gerade noch rechtzeitig mein Mountainbike vor dem Heißhunger dieses Pferdes retten. Saftiges grünes Gras mit frischem Löwenzahn? Pah, laaangweilig! Mountainbikereifen sind angesagt. Jedenfalls in Rumänien.
Alsbald setzen wir unsere Fahrt auf einer breiten, asphaltierten Straße fort. Die nicht unerhebliche kontinuierliche Steigung stört mich nicht im Mindesten.
Während ich nun also entspannt in die Pedale trete, höre ich auf einmal unser junges Huhn hinter mir keuchen. Nanu? Wo ist denn Alinas fröhliches Gejodel abgeblieben? Als es noch durch Wald und Flur ging, war sie kaum zu bremsen und immer vorneweg. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass sie ständig auf uns Alten (und mich Bangbüx) warten musste. Doch nun scheinen wir die Rollen getauscht zu haben. Und auch Gabriel muss plötzlich auffällig häufig mit dem Büro telefonieren.
Alina, komm in die Puschen! – Aber das ist anstrengend! – Ach, und die Off-Road-Strecke nicht? – Nö, die war schön abenteuerlich. – Allerdings! Und das war für mich anstrengend. Völliges Unverständnis. – Diese Jugend! "No risk, no fun" scheint ihre Devise zu sein. Oder liegt es an Alinas dakischem Blut?
Schafe am WegesrandMobiles Büro
Sorin hat die Kuppe des Hügels erreicht und wartet dort oben auf uns. Wann sind wir da? Ist es noch weit?, fragt Alina. Mein Mann und ich grinsen. Es ist noch nicht lange her, dass wir diese Fragen in exakt diesem Ton von der Rückbank unseres Autos gehört haben. Okay, ich gebe es zu, es sind wohl doch schon zwei Jahrzehnte her.
Wir fahren weiter durch diese Bilderbuchlandschaft, kilometerweit kein einziges Zeichen menschlichen Daseins, bis wir das verträumte Meşendorf erreichen – die nächste Seite im Bilderbuch ist aufgeschlagen!
Sorin erzählt uns von der Problematik, dass die Sachsen ihre Häuser oft ohne klare Regelung zurückgelassen haben. Und wenn dem Bürgermeister kein Schriftstück vorliege, dürfe das Haus nicht angerührt werden und sei dem Verfall preisgegeben. Dort, wo kundgetan wurde, was mit Haus und Hof geschehen solle, würden in letzter Zeit immer häufiger Rumänen – meist aus städtischen Bereichen – die verfallenen Häuser der ausgewanderten Sachsen aufkaufen, um sich auf dem Lande Wohnraum zu schaffen. Davon profitiere die gesamte Region, die sonst zu vergreisen und zu verwaisen drohe.
Hausinschrift – Wer kann das Rätsel lösen?
Meşendorf wirkt lebendig – und echt. Die Kinder sind gerade aus der Schule gekommen und werden von der Oma oder Mama nach Hause begleitet. Im Vorbeigehen hält man ein Schwätzchen. Hühner und anderes Vieh tummeln sich frei und ungebunden am Straßengraben oder unter Schatten spendenden Bäumen. Auch wir machen unter einem solchen eine kurze Rast.
Die Zeit scheint stehengeblieben. Beschaulichkeit hat hier noch Platz. Wie es hinter den Türen aussieht, wissen wir nicht. Aber vor den Türen sieht alles nach einem äußerst liebens- und lebenswerten Flecken auf Erden aus.
Auf dem Rückweg fahren wir durch blühende Obstplantagen und genießen das Sommerfeeling im April in vollen Zügen.
Zurück im Bike Check Inn erhalten wir nach einem weiteren Glas Holunderlimonade einen Rundgang durchs Haus, das für Gästeunterbringung eingerichtet ist. Unten in der zum Gebälk hin offenen Halle stehen mehrere Tische und Bänke, teilweise aus voll im Trend liegenden alten Bohlen gefertigt, an denen mehrere Gruppen Platz finden können.
Eine Wendeltreppe führt hinauf zur oberen Galerie, von der die Gästezimmer abgehen – jedes ganz individuell und liebevoll gestaltet mit für diese Region typischen Betten, die in einer nahen Werkstatt geschreinert werden. Handgewebte Teppiche und kunstvoll von Hand bemalte Kommoden runden das Bild ab. Auch ein alter Stuhl, durch den die verschiedenen Lackschichten seiner Jahre hindurchschimmern, gerät zum Kunstwerk und findet einen Ehrenplatz.
Selbst die Lampen kommen aus einer regionalen Werkstatt. Bei Ikea könnten wir die Zimmerausstattung zwar wesentlich günstiger bekommen, erläutert uns Sorin, aber es wäre kein Gewinn für unsere Region. Sie gilt es zu stärken.
Wir sind beeindruckt von so viel Weitsicht und ökonomischen wie ökologischen Betrachtungen. Dank der jungen Generation scheint es viel Hoffnung für das Land zu geben, denn sie packt ihre Zukunft an, statt nur darüber zu lamentieren.
In dem Dörflein Bunești, das sich glücklicherweise nahe des touristisch viel bereisten Dorfes Viscri befindet, entsteht etwas ganz Wunderbares – ein zukunftsweisender Weg, um die fast vergessenen Sachsendörfer auf sportliche Art zu erkunden und wiederzubeleben.
In diesem Sinne: Kiek mol in im Bike Check Inn!
Eure Aurelia
INFOS:
Bike Check Inn: Webseite und Facebook
Man beachte das Wortspiel! Nicht Check In, sondern Check Inn
(= englisches Gasthaus).
Ein idyllischer Flecken, um etwas länger zu verweilen.
Sie bieten übrigens auch Pferdeausritte an.
Authentic Romania: Ansprechpartnerin für Deutschland: Alina Baidoc Webseite und Facebook