Katzendorf zwischen Idylle und Wirklichkeit


von Dagmar Dusil

gemalte Katze
Sie haben noch nie von Katzendorf gehört? Das ist eine Gemeinde in Siebenbürgen, zwischen Reps (rum. Rupea) und Kronstadt (rum. Brasov) gelegen. Rumänisch heißt das Dorf Caţa und ungarisch Caca. Katzendorf liegt im sogenannten Haferland und ist nicht seiner Katzen wegen bekannt, sondern war früher ein Dorf der Pferdezüchter.
Ortseingangsschild von Katzendorf aus dem Auto fotografiert
gemaltes Schaf
Katzendorf wiegt sich dem Herbst entgegen. In dieser Gemeinde lebten bis Anfang der 90er Jahre Siebenbürger Sachsen, Rumänen, Ungarn und Roma, die sich hier Zigeuner nennen. Kommt man von Reps (rum. Rupea) nach Katzendorf stehen am Anfang des Dorfes Stallungen mit Schafen. Hier ist der größte Umschlagplatz für Schafe in ganz Rumänien, die aufgekauft und in verschiedene Länder Europas und in den Nahen Osten verschickt werden.
breite Straße mit eingezäunten Stallungen und Gewächshäusern am Straßenrand
Idyllisch ist die Landschaft und das zu jeder Jahreszeit.
Kirchturmspitze mit herbstlich gefärbten Bäumen davor
Eine breite Dorfstraße führt ins Dorf. Ein Kuhboulevard, denke ich.
breite Dorfstraße als Kuhboulevard
Storch mit Frosch
Die Kirchenburg mit ihren vier Türmen springt dem Besucher ins Auge. Einer der Türme, der jahraus, jahrein von Störchen bewohnt wird, trägt den Namen Storchenturm.
Turm der Kirchenburg mit Storchennest auf der Turmspitze
Eine einzige Sächsin wohnt noch im Dorf, nachdem die Sachsen nach der Wende, das heißt nach 1990 das Dorf verlassen haben und nach Deutschland ausgewandert sind. Einige haben inzwischen, wie auch in anderen siebenbürgischen Dörfern, ihre Häuser zurückgekauft und verbringen die Sommermonate in ihrer alten Heimat, was ihnen die Bezeichnung Sommersachsen eingebracht hat.
Sommersachse
Der Anteil der Romabevölkerung beträgt in Katzendorf 80 %. Die meisten von ihnen wohnen im Romaviertel des Dorfes, ohne Wasser in einfachsten Verhältnissen. Ihre Hütten sind aus Lehm gebaut, windschief und bunt. Betrachtet von dem gegenüberliegenden Berg, auf dem sich der evangelische Friedhof befindet, wo die Toten ruhen und das Leben ausgeslöscht ist, mutet das Romaviertel idyllisch an, märchenhaft, mit lärmenden Kindern, ab und zu einem Pferd, Bewohnern, die wie Schildkröten in der Sonne sitzen. Doch der Schein trügt. Es gibt kein Wasser, die Behausungen sind undicht, sanitäre Anlagen inexistent, gekocht wird auf einer Feuerstelle vor der Hütte.
Romasiedlung
Grab vor einem Baum auf dem evangelischen Friedhof windschiefes ärmliches Haus einer Romafamilie
Insel mit Uhr
Die sächsische Kirchenburg thront in der Dorfmitte und wartet auf Besucher. Sie ist imposant und mächtig mit den vier Türmen, die von jeder Seite des Dorfes zu sehen sind. Im ehemaligen Pfarrhaus lebt zeitweise der Dichter und Filmemacher Frieder Schuller, der seit fünf Jahren den Dorfschreiberpreis vergibt, der das Wohnen in der Dichterklause, die sich im Garten des Pfarrhauses befindet, beinhaltet. Ich hatte das Glück 2017 diesen Preis zu erhalten. Der Pfarrgarten ist eine Oase der Ruhe, mit Zeit, die die Zeiger der Uhren zum Stehen bringt.
überdachter mit Wein umrankter Vorbau im Pfarrgarten
Frau Anna Markus, die den Schlüssel der Kirchenburg hütet, führt die Touristen durch die Kirchenburg. Sie kehrt in jedem Frühjahr in ihr Heimatdorf zurück. Sie besitzt Hengste, die im Stall gehalten werden und Stuten, die auf die Weide dürfen.
Pferd schaut aus dem Stall
gemaltes Rathaus
Das Rathaus ist sonnengelb gestrichen. Gegenüber befindet sind ein mit EU-Geldern gebauter kleiner neuer Glasbau, die „Informare turistica“, wo wissbegierige Touristen alles erfahren können, was sie wissen möchten, wenn jemand drin säße, was leider nicht der Fall ist. Ausgestattet mit Computern, auf die man von außen einen Blick werfen kann, steht der Raum seit einem Jahr leer.
verstaubter PC
sonnengelb gestrichenes Rathaus mit Menschen davor leerstehendes Tourismusbüro
gemalte Schule
In der ehemaligen deutschen Schule, die sich neben der Kirchenburg befindet, sind die Klassen 5 – 8 untergebracht, wo Kinder in rumänischer und ungarischer Sprache unterrichtet werden. Die Klassenstufen 1 – 4 mit rumänischer und ungarischer Unterrichtssprache sind in der Schule gegenüber der orthodoxen Kirche untergebracht. Diese Schule wurde vom bekannten rumänischen Dichter George Cosbuc eingeweiht. Er wird als einer der größten Dichter Rumäniens angesehen.
„Ich bin Seele in der Seele meiner Ahnen
und singe Freude und Bitterkeit
in deinen Wunden bin ich der Schmerz
und das Gift trinke ich mit dir gemeinsam
wenn das Schicksal das Glas uns reicht“

George Cosbuc, „Poetul“ (Der Poet), 1911
rumänische Grundschule in Katzendorf
Bücherregal
Katzendorf besitzt auch eine gut bestückte Bibliothek, die leider geschlossen ist, mit Büchern in deutscher, rumänischer und ungarischer Sprache. Die Dame vom Rathaus, die so freundlich war, die Bibliothek für mich aufzuschließen, erklärt mir, dass heute die Kinder nicht mehr lesen.
Ausschnitt eines Bücherregals mit ungefähr 20 alten deutschen Büchern
Bahnhof
Der Bahnhof, denn Katzendorf hat einen Bahnhof, durch den einst der Orient-Express fuhr und der das Tor zur großen Welt ist, liegt in einem Dornröschenschlaf, mit vom Gras überwucherten Schienen, die die Räder der Züge wach zu küssen versuchen. Am Morgen und am Nachmittag halten Personenzüge in Katzendorf, und die Reisenden können nach Schäßburg oder Kronstadt fahren.
Bahnhof mit vom Gras überwuchtern Gleisen
Zur Gemeinde Katzendorf gehören noch Palos (dt. Königsdorf), Beia (dt. Meeburg), Drauseni (dt. Draas) und Ionesti.
Weg mit Dornen
Entlang der Bahnlinie führt der Weg nach Palos. Und von hier geht es über eine Schotterstraße nach Meeburg, ein Dorf, das versteckt wie am Ende der Welt liegt. Der Weg dahin ist lieblich und hügelig gesäumt von Hagebutten- und Weißdorn- und Schlehensträuchern, die mit ihren langen Dornen jede menschliche Berührung abweisen. Das ist die Idylle, wenn auch mit Dornen. Die Wirklichkeit ist die Schotterstraße mit Schlaglöchern. Die Häuser sind Ruinen oder stolz restaurierte Häuser.
verfallenes Haus in Palos restauriertes Haus in blauer Wandfarbe in Palos
Der Flügelaltar der sächsischen Kirchenburg in Meeburg, gefertigt von einem Sohn von Veit Stoß, wurde in die Bergkirche nach Schäßburg ausgelagert, da in den 90er Jahren nach der Abwanderung der deutschen Bevölkerung die Einbrüche in den Kirchen zunahmen.
Flügelaltar von Veit Stoß
gemalte Wurst und Speck
Über Petecu führt ein fast unbefahrener Weg nach Dersch (ro. Dirjiu), wo sich eine Unitarische von Szeklern im 14. Jahrhundert erbaute Kirchenburg befindet, die einzige Kirchenburg im Szeklerland, in der auch die Kirche wehrhaft ausgebaut wurde, die dem ungarischen König Ladislaus I. gewidmet ist. Die Kirchenburg steht auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO. Berühmt ist die Kirche für ihre Fresken, die die Legende von Sankt Ladislaus aus der protestantischen Reformation darstellen und die im 19. Jh. wiederentdeckt wurden. Im Speckturm wird der Speck wie anno dazumal gehalten.
Kirchenbnurg in Dersch
gemalte Kirchenburg
Wandmalerei in der Kirchenburg von Dersch
Katzendorf
Über Draas (ro. Drauseni) erreicht man erneut Katzendorf. Ein Kreis hat sich geschlossen. Beeindruckend ist die Draaser Kirchenburg, die letzte Gemeinde auf dem ehemaligen Königsboden. Das romanische Kirchenportal ist sehenswert.
Kirchentor in Draas
Im Zeitalter der Globalisierung wird es zunehmender international in und um Katzendorf. Zwischen Draas und Katzendorf liegt die Büffelfarm des Inders Krishan, den es aus Kerala hierher verschlagen hat und Katzendorf ist seit ein paar Jahren der Lebensmittelpunkt der gebürtigen Erfurterin Charlotte, die hierher aus Belgien mit Ziegen, Hund und Katzen zog.
Flagge
Flagge
Inder
Flagge
Flagge
Ende September ist die Welt zu Gast bei Frieder Schuller, wenn er zum Kulturfest einlädt.
Die Autorin Dagmar Dusil liest im Garten des Pfarrhauses aus ihrem Buch
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