Wandern im Karpatenbogen

von Anja Slowinski

gemalter Karpatenbogen mit Wanderschuhen
Die Motivation
Warum wandert man nicht im Allgäu? Der hochwertige und einstimmig gewählte Reiseleiter ist in Kronstadt (Brasov) geboren und aufgewachsen und seine ehemaligen Kollegen haben ihn zur Organisation der Reise angestiftet. Viel war dafür nicht nötig, was jeder versteht, der in der Gegend um Kronstadt schon einmal gewandert ist. Die anderen Mitreisenden wurden mittels Diaabenden und länglichen Schilderungen der letzten Reise vom Mitkommen überzeugt. Außerdem und immerhin wächst nach der ersten Osterweiterung die Neugier auf die Länder jenseits der Eurogrenze. So starteten wir Anfang September 2004 mit dem Flugzeug von Frankfurt nach Bukarest. Nach einer Stadtrundfahrt ging es im Minibus weiter Richtung Kronstadt.
gemalter Bus und ein Flugzeug
Die Walachei
Das Wetter war, ist und blieb unglaublich stabil und unglaublich gut: wunderbar tiefblauer Himmel, warme Sonne tauchten das Land die ganze Zeit in das beste Licht aller Welten. Weil es Samstagnachmittag ist, sitzen die alten Herren und Damen in den kleinen Straßendörfern auf ihren kleinen Bänken vor Ihren Gärten. Wir hätten gern mit Ihnen getauscht, so friedlich und zufrieden wirken diese schnell vorbeiziehenden Bilder. Die Gärten selbst explodieren von den Farben der Blumen und dem üppigen Grün der Weinranken. Beneidenswert.
gemaltes Paar auf einer Bank vor Blumen
Wir rumpeln eilig weiter und am Horizont sind schon die Ausläufer der Berge zu sehen. Ansonsten ist die Gegend so flach wie ein Tisch. Das ist die Walachei,in die man alles, was sich weit, weit weg befindet, sprichwörtlich verortet. Jetzt sind wir da. Erdölpumpen und Umspannwerke säumen die Straße.
gemalte Ölpumpe
Der Karpatenpass
Und nur kurze Zeit später, sehr unvermittelt, befinden wir uns in den Bergen. Und die Farben wechseln. Vom Gelb der trockenen Sonnenblumenfelder wird es dunkelgrün. Wald bis zum Horizont. Und der wird steiler und steiler je weiter wir fahren, vorbei an Kurorten und Straßenmärkten mit Holzschnitzereien, Korbflechtereien, Fellen und wahrscheinlich viel Kitsch und Schönem, aber: wir sind noch nicht da, halten auch nicht an. Auch nicht, als wir an dem Höhepunkt der Karpatendurchquerung anlangen, ein senkrecht steiles turmartiges dolomitenähnlich wirkendes Gebirge, bekrönt von einem Turm und einem Kreuz.
gemalter Turm und Kreuz auf einem Berg
Der Weg herunter nach Kronstadt führt auch an einem großen Kriegsgräberfriedhof vorbei. Während des ersten Weltkriegs wogte die Schlachtenlinie leider mehrfach über dieses Gebiet.
Wir durchqueren ganz Kronstadt und Serpentinen (das Wort wurde nach der Reise für Wochen aus meinem Wortschatz gestrichen) uns zur Schulerau (Poiana Brasov) hoch.
gemalter Berg mit Serpentinen
Autofahren
Der Minibusfahrer ist ein Schatz, aber er fährt wie der Teufel und schimpft dabei über die Bukarester, die, sobald sie aus Bukarest entlassen sind, nicht mehr Auto fahren können. Dabei muss man zur Ehrenrettung der Bukarester Autofahrer erwähnen, dass es dort sehr wenige Serpentinen zu fahren gibt. Er selbst überholt an jeder unmöglichen Stelle, was entscheidend zum Abenteuerfaktor der Reise beiträgt.
Ein Schatz ist er trotzdem: er hält ungefragt auf einem der Aussichtsparkplätze oberhalb von Kronstadt und wir ohen und ahen unseren ersten atemberaubenden Blick auf die Kronstädter Altstadt. Das kam für alle „Erstreisenden“ wunderbar überraschend.
gemalter Teufel am Steuer
Die Wanderungen
Da das außergewöhnlich schöne Wetter die gesamte Zeit anhielt, haben wir unseren Lesestoff für Regentage unangetastet wieder heimgetragen und stattdessen den drei wichtigsten Dingen gehuldigt: Wandern, Wandern und Wandern!
gemaltes Buch
Schulerspitze
Zum Aufwärmen sind wir mit dem Sessellift auf den Schuler (Postavarul) gefahren und auf die Spitze gelaufen. Auf dem Weg hoch waren die Schweine (teilweise gescheckt) die Sensation. Auf der Spitze der Blick und die Aussicht auf weidende Kühe. Ein kleiner Zwischenstop bei dem orthodoxen Priester, der sich ein Häuschen mit Kirche im Dachgeschoß gebaut hat. Es wirkt wie die Arche Noah, komplett mit Ziege, Enten, Hühnern und allem. Fuchs und Hase sagen Gute Nacht und er meint, es hätte auch ein Bär vorbeigeschaut. Kurioserweise hat er gregorianische Chormusik vom Band. Diesen Gegensätzen begegnet man in Rumänien auf Schritt und Tritt, aber nur wir staunen, scheint mir.
gemaltes Huhn und Gans mit einer Musikkassette
Eremit vor seinem Holzhaus im Wald
Eremit am Schuler
Unsere unverdiente Rast findet an der neu hergerichteten Julius-Römer-Hütte Schulerhütte (Cabana Postavarul) statt. Eine herrliche Aussicht auf der großzügigen Terrasse, viele Holzbänke, aufwendig mit Blumenranken bemalt, man weiß nicht, wohin man zuerst gucken soll. Und auch hier wieder ein kleiner Kontrast: in dem heißen Kakao, den wir uns gönnen, steckt eine grüne Plastikmeerjungfrau als Umrührhilfe. Wir dürfen einen Blick in die Zimmer werfen, bewacht werden sie von einem kuscheligen, halbwüchsigen Bernhardinermädchen. Jedes Zimmer ist ausgemalt mit einem eigenen Thema: Sonnenuntergang, Säulen, Kirchenheilige. Bei Letzteren merkt man die eigentliche Profession des Malers: er malt orthodoxe Kirchen aus. Die Holzdielenböden sind glattpoliert, die Betten frisch bezogen, die Aussicht ist unvergleichlich, darum empfindet man die modernen Cocktailsesselchen und das TV-Gerät als über das Ziel hinausgeschossen. „Richtige“ Wanderer setzen sich lieber auf einen Holzblock, ist die einhellige Meinung. Aber über Geschmack soll man nicht streiten und vielleicht kommen ja auch Gäste in die Hütte, die dies mögen. Wahrscheinlich haben diese Gäste aber Badelatschen statt Wanderschuhe an, eine Fußbekleidung, die vor allem weibliche Rumänen mittleren Alters als die passendste Ausstattung in den Bergen ansehen. Und das sind definitionsgemäß keine „richtigen“ Wanderer!
gemalter Wanderschuh neben Stuhl mit Glitzerschuhen
Holztische vor Bergbaude
Terrasse der Julius-Römer-Hütte
bunt angemalten Zimmermit Doppelbett
Zimmer in der Hütte
Wir sind aber auch noch keine, denn nach dem langen steilen Abstieg zur Casa Vinga tun trotz Stockeinsatz die Beine weh. Und wegen des Stockeinsatzes auch die Arme.
gemalter Muskelkater
Von Kronstadt zur Schulerau
Am nächsten Tag wandern wir von Kronstadt zur Schulerau zurück. Auch nach Stunden und Stunden hat sich das Panorama zur Linken nicht geändert: Kronstadt zieht sich. Und wir lernen eine neue Zeiteinheit: die Christel-Stunde. Eine Christel-Stunde entspricht 2 normalen Zeitstunden. Anders gesagt: Christel wandert doppelt so schnell wie wir Flachlandschnecken. Aber daran gewöhnen wir und sie uns.
gemalte Uhren mit unterscheidlichen Zeiten
Woran wir uns nicht gewöhnen wollen, ist der viele Müll, der immer dort liegt, wo Rumänen im Grünen sitzen. Vor allem die Plastikflaschen sind wirklich störend. Was man nicht mehr braucht, wird offensichtlich aus dem fahrenden Auto geworfen. Wenn das so weitergeht, will ich lieber im Odenwald wandern, da ist es viel sauberer. Hoffentlich haben die Rumänen ein Einsehen. Den Karpaten zuliebe.
gemalter Müll im Wald
Am Ende der Wanderung, schon kurz vor Sonnenuntergang, kommen wir auf die untere Schulerwiese, eine Modellandschaft (abgesehen vom Plastikmüll). Dort finden die Pilzfanatiker unter den Mitwanderern mehrere ansehnliche Steinpilze, die noch am gleichen Abend getrocknet werden und während des ganzen Aufenthalts einen ungelüfteten Geruch nach Muff im ganzen Appartement verbreiten.
gemalte Pilze
Die 7 Leitern
Der dritte Tag bringt eine Wanderung Richtung Hohenstein (Piatra Mare). Der Weg führt einige Kilometer an der Hauptstraße nach Bukarest entlang. Dort am Grasrand werden die Kühe geweidet. Vom vorbeiziehenden Schwerverkehr lassen sie sich nicht stören. Im Talbereich begrüßt uns eine mittelgroße Schweineherde blauäugig und rosarüsselig. Wir Flachlandschnecken kommen zwar kaum über die 7 Leitern hinaus, aber immerhin haben wir einen schönen Blick auf den Hohenstein und wandern den Familienweg zurück. An den Leitern haben wir viel Spass mit dem Wasserfall (geht man die Leiter zu langsam, kommt man geduscht oben an).
gemalte Holzleiter
Ein schöner und vorsichtiger Mischlingshund mit Wolfseinschlag adoptiert uns für den Tag. Nach dem gemeinsamen Mahl mit Blick auf den Hohenstein, bei der er alle Reste, Rinden und Kanten bekommt, wird er ganz ausgelassen. Er verläßt uns erst, als wir wieder durch den Ort zurückgehen. Dort legt er sich an der ersten Hütte in den Schatten und schläft gleich ein. Wir müssen noch weiter, haben aber Glück, weil der Bus von Predeal vorbeikommt und uns den Weg die Hauptstraße entlang erspart. (Anm.: Seit heute gibt es keinen Muskelkater mehr, irgendwas hat sich angepaßt, entweder die Muskeln an die Wanderungen oder Christel an unsere Geschwindigkeit.)
gemalter Bus
Kuh steht am Straßenrand einer viel befahrenen Straße
Kühe weiden am Rand der Straße von Kronstadt Richtung Predeal
Von Zarnesti nach Moeciu
Wir sind uns einig: das war die schönste Wanderung! Sie beginnt mit dem Blick in eine Klamm, steiler als die, welche im Film „Cold Mountain“ vorkommt. Danach geht es über einen Feldweg hügelan und schon auf der ersten Hügelkuppe haben wir das großartige Panorama des Tales mit dem Zeidner Berg (Magura Codlei) im Hintergrund. Das Gras ist grün und kurzgeschnitten, überall sind die Bauern am Heuwenden, überall stehen auch die wunderschönen Heuhaufen herum, über vier Meter hoch aufgetürmt.
gemalte Heuschober
Locker verteilt immer wieder kleine schmucke Holzhäuser, eingezäunt, innen immer wieder was zum Gucken und Staunen: Blumen, Hühner, ein Fohlen!
gemaltes Pferd und ein Huhn zwischen Blumen
An der Hütte Pepino machen wir Rast. Pavel gibt einen Selbstgebrannten aus. Wir sitzen draußen, bewundern Königstein und Bucegi und essen Salat, in Pfannkuchen eingebackene hauchdünne Fleischscheiben und frische Röstkartoffeln. So läßt es sich leben!
gemaltes Glas neben einer Flasche
Hügelkette mit Dorf vor Bergmassiv
Hügellandschaft zwischen Butschetsch-Gebirge (Munții Bucegi) und Königstein (Munții Piatra Craiului)
Der Weg danach ist steil, immer wieder bergauf und bergab, aber letztlich gelangen wir glücklich und gemeinsam am Denkmal des Schafhirten an.
gemalter Hirte mit Schafen
Reisegruppe posiert für Foto vor Denkmal
Denkmal für einen Schafhirten in Peștera
Kurze Zeit später läuft unser bester und liebster aller Reiseorganisatoren los wie von der Tarantel gestochen. Nebenbei zeigt er dabei Pavel „Wo der Hammer hängt“. Denn wir sind einfach langsam.
gemalter aufgehängter Hammer
Eine Stunde später als geplant gelangen wir zum Minibus, dessen Fahrer sich schon Sorgen gemacht hat. Abendbrot gibt es oben auf einem Hügel, der wirklich nach jeder Himmelsrichtung ein Highlight zu bieten hat: Törzburg (Bran) nach Süden, Sonnenuntergang und Bergpanorama nach Westen, Bergpanorama von der Sonne beschienen nach Norden und Osten. Es gibt „bulz“ und scharfsalziges Grillfleisch zu essen. Und wir melken sogar noch eine Kuh, wobei unser Ertrag nicht gelangt hätte, den Kaffee einer sehr kleinen Tasse zu weißen. Aber immerhin! Müde und satt fährt uns der Minibus in die Schulerau, wo wir baldigst ins Delirium fallen.
gemaltes Kuheuter über Milcheimer
Von der Schulerau nach Rosenau (und ein bisschen zurück)
Bei jeder Hin- und Rückfahrt zur Schulerau haben wir die untere Schulerauwiese bewundert. Heute wandern wir quer über sie hinweg nach Rosenau (Rasnov). Ein (fast) ausgetrockneter Bach versperrt uns den Weg: bis auf eine Ausnahme gelangen wir sauber und trocken hinüber. Die Ausnahme nimmt es gelassen, sie ist als Einzige oberhalb des Sumpfes entlang und dann doch tutti completo in demselben gelandet. Da der Fall sehr weich war, sind glücklicherweise alle Knochen heil geblieben und wir können weiterwandern.
gemalter Mann welcher über einen Fluss springt
Ein größere Anzahl Ziegen begleitet uns ein Stück des Wegs und zieht dann einen Hang hinauf. Vor einem halb fertigen Haus weidet frei eine Pferdeherde. Die Leitstute sichert die Umgebung und beäugt uns kritisch. Die letzten Kilometer in den Ort ziehen sich ein wenig, aber wir unterhalten uns und kommen dank Erhöhung der Schlagzahl pünktlich zum Mittagessen an. Den Rückweg werden wir zum Gutteil von Minibussen gefahren, die aber vor einem Stück geschotterter Piste kapitulieren. Aber wir sind guter Dinge und kommen auch zu Fuß gut in der Schulerau an.
gemaltes Essen unter einer Uhr
Rundweg von der Schulerau aus = Camel Trophy
Die übliche Samstagswanderung ist diesmal eine richtig große Gemeinschaft. Aus Kronstadt kommen ein halbes Dutzend Mitwanderer zusätzlich zu Christel. Sie sind bis unterhalb des Salomonfelsen gefahren und dann zu Fuß bis in die Schulerau, haben also schon ein Stündchen Wandervorsprung. Wir gehen schöne Waldwege, ungefähr auf einer Höhe bleibend. An einer Stelle stören wir ein Wespennest auf. Die Wespen halten reiche Beute. Glücklicherweise wird niemand Allergisches gestochen.
gemalte Wespe mit einem Messer
Am Goldloch (Groapa de Aur) machen wir kurz halt. Es handelt sich dabei um ein mehrere Meter durchmessendes, unergründliches Karstloch. Kurze Zeit darauf verliert sich der bislang hervorragend markierte Weg in einem Rodungshang, der steil und steiler wird, je weiter man nach unten gelangt. Querfeldein schlägt sich die Wandergemeinschaft in Kleingruppen herunter, Starke helfen den Schwächeren und Ängstlichen, man macht sich mit Scherzen und Lachen gegenseitig Mut. Zusätzlich kämpfen wir mit den in den Ranken feststeckenden Stöcken. So rutschen wir durch Himbeersträucher und kleine Fichten hinab bis zum Bach. Die glücklich unten Angekommenen geben Laut, damit die Richtung der noch im Hang Steckenden ungefähr stimmt. Von unten sieht alles gleich viel freundlicher aus, aber wo die Absteigenden sich befinden, kann man nur indirekt schließen, wenn wieder eine Birke heftig schwankend gegen einen Wanderer kämpft.
gemalter steiler Berg mit Fluss
So haben wir uns die Pause an der Wiese verdient. Es gibt ein Feuerchen, dass auch auf Anhieb brennt (dank Axt gibt es auch genug Brennholz) und auf dem wir Brot rösten und mit Käse gefüllte Paprika grillen. Der Rückweg ist dann ganz einfach, weil wir keine weiteren Rodungen durchqueren müssen. Auch die Wespen halten sich vornehm zurück und so kommen wir mit stolzgeschwellter und abenteuererfahrener Brust wieder in der Pension Casa Vinga an.
gemaltes Lagerfeuer
Von der Schulerau über den Zinnensattel und die Zinne und den Serpentinenweg nach Kronstadt
Die allerletzte Wanderung: auf ungefähr ebenen Wegen durch wunderbar klare, warme Herbstluft geht es bis in den Zinnensattel. Dort erleben wir erst einmal wie warm es eigentlich in der Sonne ist und schwitzen den Berg hinauf. Oben haben sie eine neue Terrasse gebaut, so dass wir nicht auf die Spitze steigen, sondern bequem darunter den Ausblick genießen. Ein letztes Picknick mit frischen Käsen und allem, und schon beginnt der Serpentinenweg, der immer an der Stelle, an der er unter der Seilbahn hindurchführt, sehr glitschig ist.
gemalter Berg mit Seilbahn
Dort begegnen wir auch einigen Rumäninnen in Badelatschen, damit unser Vorurteil auch bestätigt wird. Der Tag endet mit Shopping und einem Kaffee im Bistro del Arte. Und die Reise endet mit einem Grillabend vor der Casa Vinga. Sehr lecker!
gemalter Grill
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