Die „Donauschwaben“


von Rainer Remsing

gemalte Donau
Auf ihrem Weg nach Osten, vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer, biegt die Donau vorübergehend durch die Ungarische Tiefebene nach Süden ab. Der südliche Teil dieses Abschnitts wurde im 18. Jahrhundert durch die Habsburger rechts und links, östlich und westlich der Donau, neu besiedelt. Junge Menschen aus allen Teilen des Reichs, die nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten, fanden sich bereit, ihr Glück zu versuchen. Viele davon kamen mit „Ulmer Schachteln“, einem speziellen Bootstyp aus dem Schwabenland, was 150 Jahre später dazu führte, dass man dieses Völkchen „Donauschwaben“ nannte.
gemaltes Boot
Der deutsche Dialekt, den sie sprachen, ähnelt stark dem schwäbischen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet, in dem sie lebten, großteils auf Ungarn, Rumänien und Serbien aufgeteilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Jugoslawien zu Vertreibungen und in Rumänien zu Deportationen nach Russland und später in die Baragansteppe im Osten des Landes. Nach der rumänischen Revolution 1989/1990 wanderte der größte Teil der verbliebenen rumänischen Donauschwaben nach Deutschland aus.
gemaltes Paar mit Reisekoffer
Aber wie haben die Donauschwaben dort in den über 300 Jahren gelebt? Wie war ihr Gemeinschaftsleben organisiert? Meine Eltern stammten aus dieser Gegend und von einigen Details, die sie mir darüber erzählt haben, handelt dieser Beitrag. Handlungsort ist das rumänische Dorf „Ostern“ (Comloșu Mic) im Dreiländereck Ungarn/Serbien/Rumänien. Die Verhältnisse waren aber in allen Dörfern der Donauschwaben ähnlich.
gemaltes Dreiländereck
Bauernhaus mit davor grasenden Pferden
gemalter Mann baut Haus neben einem Pferdefuhrwerk

Die Sozialversicherung

Jeder Bauer hatte einen „Arbeitsmann“. Das war ein Tagelöhner, der neben den fix angestellten Knechten („da Klaanknecht und da Großknecht“) und Mägden und neben Saisonarbeitskräften bei ihm beschäftigt war. Dabei bestand die Verpflichtung, diesem Arbeitsmann auf alle Fälle eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr Arbeit zu geben, um ihm ein Mindesteinkommen für sich und seine Familie zu sichern. Wenn der Arbeitsmann ein eigenes Haus baute – was ohnehin nur mit Nachbarschaftshilfe möglich war – stellte ihm der Bauer auch für einige Tage Pferd und Wagen zur Verfügung.
gemaltes Obst und Gemüse

Wie man sich wirtschaftlich über Wasser hielt

Leute ohne Grundbesitz, auch Handwerker („Professionisten“), arbeiteten als Zuverdienst mit allen Familienmitgliedern „for die Halbscheid“ auf Feldern von Bauern. Dazu verpflichteten sie sich in einem mündlich abgeschlossenen Vertrag, jeweils für eine Saison auf einem bestimmten Feld die gesamte notwendige Arbeit zu verrichten. Als Entlohnung bekamen sie die Hälfte des Ernteertrags. Nicht in Geld, sondern in Naturalien.
Bearbeitete jemand einen Weingarten, gab es die Möglichkeit, zwischen den Rebstöcken eigenes Gemüse anzubauen. Damit hatten die Arbeitskräfte die Chance, neben der Betreuung der Rebstöcke und dem Aufhacken des Bodens auch ohne den Besitz eines eigenen Gartens für ihre Familien das notwendige Gemüse zu ziehen.
gemalte Mühle

„Bargeldloser Zahlungsverkehr“

Die Geschäftsabwicklung im Dorf erfolgte hauptsächlich bargeldlos. Hatte man zum Beispiel auf einem Weizenfeld mit seiner Arbeit „for die Halbscheid“ ein paar Säcke Körner erworben, wurden diese bis zur nächsten Ernte auf dem Dachboden gelagert. Brauchte man Mehl um Brot zu backen, fuhr man mit einem Sack zur Mühle. Nach dem Mahlen bekam man nicht das volle Gewicht in Mehl zurück, sondern der Müller behielt seinen Mahllohn in Form von Weizen oder Mehl ein und man war quitt. Auf diese Weise bezahlte man auch andere Dienstleistungen. Nur wenn es unvermeidlich war oder für den Notgroschen, tauschte man die Feldfrüchte oder die eine oder andere Dienstleistung gegen Bargeld ein.
gemalte Füße im Lehm

Lehmbauweise

Häuser wurden aus gestampftem Lehm gebaut. Dazu entnahm man dem „Stamploch“, manchmal auch „Kaul“ genannt, das es in jedem Dorf gab, Lehm, den man zwischen einer Schalung aus Holzpfosten feststampfte. Der getrocknete Lehm ergab dann die Hausmauer. Auf der Mauer wurden Schilf und andere mir nicht bekannte Materialien aufgebracht. Dieses Geflecht konnte man mit Mörtel verputzen. Auf den Putz kam die Kalkfarbe für den Außen- und Innenanstrich.
Der Fußboden bestand ebenfalls aus gestampftem Lehm und wurde mit einem reichlich vorhandenen Spezialmittel von Zeit zu Zeit geglättet und gehärtet. Bei einem Besuch vor einigen Jahrzehnten im Banat beobachtete meine Schwester, wie ein Verwandter den Boden auf diese Weise behandelte. Das Spezialmittel, das er verwendete, fand ihr Interesse. Sie fragte: „Was is dann des, was du da im Amper (Eimer) hascht?“. Seine Auskunft: „Kiehdreck.“
Im Stamploch sammelte sich Regenwasser und damit hatte jedes Dorf einen oder mehrere kleine Teiche mit Fröschen und anderem Getier. Ich nehme an, auch Gelsen (Stechmücken).
gemalter Eisschrank

Eisschrank

Waren die Sommer im Banat extrem heiß, so waren die Winter besonders schneereich und kalt. Diesen Umstand nutzte man, um für den Sommer ein natürliches Kühlmittel zu konservieren. Dazu hackten die Männer das dicke Eis, das sich auf dem Stamploch bildete, heraus und lagerten es im Keller eines Wirtshauses. Der Lehm dieser Keller bildete eine hervorragende Isolation und das mit Stroh abgedeckte Eis blieb zur Freude der Wirte und ihrer Gäste den ganzen Sommer lang erhalten. Es gab kühles Bier. Wer daheim Eis zur Konservierung frischer Lebensmittel brauchte, kaufte einen Block und gab ihn zu Hause in einen hölzernen „Eisschrank“. Ein Gerät, das diesen Namen wirklich verdiente.
gemalte Maispflanzen

Heizmaterial

Womit heizt man in einer Gegend, in der Holz Mangelware ist, im 18., 19. und 20. Jahrhundert im Banat? Man verwendet „Storza“. Das sind die Stängel und vor allem die Wurzeln der Maispflanzen, des Kukuruz. Getreu dem damaligen Motto „Müll, was ist das?“, wurde alles irgendeiner Verwendung zugeführt und der „Abfall“ bei der Kukuruzernte eignete sich hervorragend zum „Schiera“, zum „Schüren“, zum Heizen der Häuser.
gemalte Mann neben Wagenrad und Werkzeug

Fahrzeugherstellung

Das gängige Fahrzeug, der „Pickup“ des Banat, war der von Pferden gezogene Leiterwagen. „Die Herrische“ besaßen natürlich auch Kutschen oder im Winter Pferdeschlitten, aber das waren Luxusfahrzeuge. Der alltagstaugliche Wagen wurde aus Akazienholz hergestellt, das im Banat reichlich vorhanden war. Brauchte man irgendwann in den nächsten Jahren mal einen neuen Wagen, wurde ein geeigneter Baum gefällt und der Stamm direkt vor dem Haus gelagert, wo er ein paar Jahre lang als „Hausbank“ der Bewohner diente. Wenn das Holz über die Jahre trocken genug war, ging man zum „Waaner“, Wagner und handelte den Auftrag aus. Der Wagner verarbeitete den Stamm mit der Handsäge zu Brettern und Latten und formte daraus den Wagen. Ganz heikel waren die Speichen. Die wurden, bevor sie der Wagner in die Radnaben einpasste, oft noch tagelang im Ofenrohr nachgetrocknet, denn der Stolz des Wagners war ein Fahrzeug, bei dem niemals auch nur das geringste Knarren zu hören war. Hatte der Wagner den Wagen fertig, brachte er ihn zum Schmied, der sich um Bereifung und Beschläge kümmerte. Dann wurde das Gefährt an den stolzen Besitzer ausgeliefert, der den Neuwagen nun endlich seinen Nachbarn vorführen konnte.
weite endlose Feldlandschaft
Natürlich gäbe es noch viel mehr über das Leben der Donauschwaben zu erzählen. Zum Beispiel über ihre Festlichkeiten und die religiösen und dörflichen Rituale. Aber das ist eine andere Geschichte.
Zurück-Button