Ein Grabstein für “Hans Onkel“ in Hetzeldorf – mit Hindernissen!


von Markus Walter

Rumänien ist das Land mit großer Geschichte und vielen kleinen Geschichten. Diese ist eine davon…
gemaltes Geschichtenbuch
Eine unsere Rumänien-Reisen führte uns im Jahre 2015 zufällig in den kleinen siebenbürger-sächsischen Weiler Hetzeldorf (rumänisch Atel). Bei einer kleinen Rundtour waren wir recht wahllos durch die alten deutschen Dörfer getingelt, haben Kirchenburgen besucht und versucht, in vergangene Zeiten einzutauchen. So kamen wir auch nach Hetzeldorf, in der Nähe von Mediasch. Wie so oft findet man an der Kirchenburg ein kleines Hinweisschild mit einer Hausnummer, wo man den Schlüssel bekommt oder sich gleich jemand mit auf den Weg macht, um die Kirchenburg zu zeigen.
gemaltes geschlossenes Kirchentor mit Hinweisschild
In Hetzeldorf befindet sich in dem bezeichneten Haus ein kleines evangelisches Altenheim, in dem alte Siebenbürger Sachsen aus der Gegend ihre letzten Jahre verbringen. Dort fragten wir also nach der Kirchenburg. Man sagte uns, wir sollten am Eingang warten, es käme gleich jemand vorbei. Dieser „Jemand“ kam direkt aus dem Kuhstahl und war „Hans Onkel“. Er sollte einen bleibenden Eindruck auf uns hinterlassen…
gemalter Menn hinhter einer Kuh
Onkel Hans steht mit einem Schlüssel vor der Kirchentür
So stand er vor uns: Mit Schürze und großem Schlüsselbund, frisch aus dem Kuhstall.
„Hans Onkel“ zeigte uns „seine“ Kirchenburg mit viel Freude und deutlich erkennbarem Herzblut. Alles war schön hergerichtet, sauber, vieles liebevoll beschriftet. Neben dem Taufbecken stehend, sang er uns ein altes sächsisches Kirchenlied – in seiner Kuhstall-Schürze – ein unbeschreiblicher Moment. Die Begeisterung für „seine“ Kirche war ansteckend und, dass mit uns jemand kam, um „seine“ Kirche anzuschauen, freute ihn sichtlich. Es war eine tolle Begegnung.
gemalter Mann zeigt freudig die Kirchenburg
Auch im Jahre 2020 tingelten wir mal wieder durch die sächsischen Dörfer in Siebenbürgen und natürlich wollten wir auch wieder „unseren Hans Onkel“ in Hetzeldorf besuchen. Am Altersheim angekommen, fragten wir also nach ihm, doch leider erfuhren wir, dass er mittlerweile verstorben war. Mehr Information bekamen wir nicht, corona-bedingt war man im Altersheim von unserem Besuch nicht begeistert und bat uns, schnell wieder zu gehen.
gemaltes ängstliches Gesicht mit Maske
Wir stiefelten zum evangelischen Friedhof, um nach seinem Grab zu suchen. Gar nicht so einfach, wenn man den richtigen Namen nicht weiß. Hm, „Hans Onkel“, also kam am Ehesten Hans oder Johann in Frage. Das Sterbedatum musste zwischen 2015 und 2020 liegen. So klapperten wir alle Gräber auf dem Friedhof ab, waren mit unserer Suche aber nicht erfolgreich. Entweder passte der Name nicht oder das Sterbedatum. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass „Hans Onkel“ gar nicht hier, sondern in einem anderen Dorf beerdigt war, kamen die Bewohner des Altenheims doch aus der ganzen Gegend. Wir stellten die Suche ein und suchten uns einen Platz zum Übernachten am Rande des Dorfes. Doch den ganzen Abend ging uns das Ganze nicht aus dem Kopf.
gemalte Gräbsteine mit Fragezeichen darüber
Am nächstem Morgen wurden wir nochmals im Altersheim vorstellig, in der Hoffnung, noch Informationen zu bekommen. Man verwies uns für weitere Infos an das Büro des Kirchenbezirk in Mediasch. Also dorthin. Wir schilderten der Dame im Büro unser Anliegen. Sie gab uns die Daten und endlich erfuhren wir, den Namen von „Hans Onkel“: Johann Klatt, geboren in Belleschdorf (rum. Idiciu). Sie bestätigte uns auch, dass er in Hetzeldorf beerdigt wurde, aber da er mittellos war, kein Grabstein gesetzt wurde. Deshalb konnten wir auch sein Grab nicht finden. Wir bedankten uns für die Informationen und fuhren weiter. Auf der Autofahrt, mittlerweile auf dem Heimweg Richtung Deutschland ließ uns das Thema nicht los und so reifte in uns der Entschluss, dass es nicht sein dürfte, dass von unserem „Hans Onkel“ nichts Sichtbares zurückbleiben sollte.
gemaltes Auto mit Markus und Heike
In der Nähe von Lipova, im Westen Rumäniens, rund 300 Kilometer von Hetzeldorf entfernt, steuerten wir schließlich einen Grabsteinmacher an. Alleine die Unterhaltung mit diesem freundlichen Mann ungarischer Abstammung, hätte man ungeschnitten als Comedy-Sendung ausstrahlen können. Er konnte ein paar Brocken deutsch, wir noch weniger rumänisch und schon gar kein ungarisch. Seine Antworten auf meine Ausführungen wechselte immer zwischen „ich verstehe“ und „ich verstehe nicht“. Ich versuchte unser Anliegen zu schildern:
„Wir brauchen einen Grabstein.“ - „Ich verstehe.“
„Der darf nicht zu groß sein.“ - „Ich verstehe nicht.“
Ich zeigte ungefähr die Maße. - „Ich verstehe.“
„Nicht zu schwer, damit ich ihn mit meiner Frau zusammen tragen kann.“ - „Ich verstehe nicht.“
„Wir bringen den Stein selbst zum Friedhof.“ - „Ich verstehe, aber...“.
Er zeigte mir stolz seinen alten Mercedes, mit dem er den Stein anliefern kann.
„Der Friedhof ist 300 Kilometer entfernt.“ - „Ich verstehe nicht!“
„Den Text für den Stein schreibe ich auf.“ - „Ich verstehe.“
„Wir holen den Stein im nächsten Jahr ab.“ - „Ich verstehe nicht!!!!“
Irgendwie verstand er dann doch und wir verabredeten uns für 2021.
gemalte Steinmetz mit Werkzeug in der Hand
Im August 2021 standen wir dann wieder vor seiner Tür und man sah ihm an, dass er nicht wirklich damit gerechnet hatte, uns wiederzusehen. Leider kamen wir in einem unpassenden Moment. Er hatte gerade Besuch von seinem Bruder bekommen, der im Ausland lebt. Da er diesen schon mehrere Jahre nicht mehr gesehen hatte, hatte er ihm versprochen, während seines Aufenthaltes nicht zu arbeiten. Doch es gab eine Lösung. Der Grabsteinmacher hatte noch einen Rumänen an der Hand, der für ihn schon öfter Gravurarbeiten erledigt hatte. Ich übergab also brav meinen Entwurf für die Beschriftung und auch gleich in bar den Betrag für den fertigen Grabstein. Und setzte damit eine Fehlerkette in Gang…
gemalte Hand mit Entwurfszettel und Geld in der Hand
Entwurf einer Grabsteinbeschriftung auf Papier
So sah unser Entwurf für die Grabplatte aus.
Das Bargeld in der Hand, gab der Grabsteinmacher auch bereits die Bezahlung an den rumänischen Graveur weiter. Dieser wiederum investierte das Geld gleich bei seinem bevorzugten Schnapslieferanten. Und so war die Beschriftung des Steines, als ich diesen abholte, doch etwas anders, als gewünscht. Insbesondere die Widmung (typisch für Grabsteine in Siebenbürgen) ist deutlich aus dem Ruder gelaufen. Diese sollte klein und unauffällig als eine Zeile am unteren Rand stehen. Daraus sind 3 große Zeilen geworden und im Endeffekt ist nun mein Name genauso groß geschrieben, wie der Name des Verstorbenen. Aber, was will man machen? Der Schnaps hat wohl zu gut geschmeckt…
gemalter Steinmetz meiselt einen Grabstein und trinkt dabei Schnaps
Zwei Männer halten den Grabstein in der Hand
Der Bruder des Grabsteinmachers überreicht mir den fertigen Grabstein.
Nun mussten wir die Grabplatte noch für den Transport in unserem Geländewagen verstauen. Das war nicht ganz so einfach. Erstens mussten wir ein paar Tage mit dem Stein zusammen „im Auto leben“. Solange würde es dauern, bis wir Hetzeldorf erreichen würden. Außerdem sollte das Ding natürlich auch heil bleiben. Da wir gerne mal etwas ruppigere Wege fahren und unser altes Buschtaxi recht hart gefedert ist, bestand schon die Gefahr, dass die Platte brechen könnte. Der beste Platz schien uns in unserem Bett zu sein. Auf der Matratze war der Grabstein gut gepolstert und er lag auch nicht hinten im Fußraum im Eingang herum. Also Schlafdach aufgeklappt (wir schlafen im aufgeklappten Zeltdach unseres Geländewagens) und den Stein ins Bett gehievt.
gemaltes Bett mit Markus, Heike und Grabstein
Frau liegt neben Grabstein
Die beste Ehefrau von allen hat es sich schon mal bequem gemacht.
Nun war der Stein gut geschützt gelagert. Allerdings hieß das nun auch jeden Abend vor dem Schlafengehen den Grabstein herunterzuheben und unten im Auto zu platzieren. Morgens dann den Stein wieder hoch ins Bett zu schaffen…
Wir machten uns also auf in Richtung Hetzeldorf. Unterwegs standen noch zwei Besuche auf dem Programm, jeweils mit ein paar Tagen Aufenthalt. Und immer wieder Grabstein runter, Grabstein rauf, Grabstein runter, Grabstein rauf, …
gemalter Markus hievt Grabstein hoch
Fast in Hetzeldorf angekommen, erreichte uns ein Telefonanruf aus der Heimat und wir mussten dringend den Heimweg antreten. Und so sollte der Grabstein dann auch noch eine etwa 1500 Kilometer lange Reise ins Saarland antreten, um dann ein paar Wochen später wieder 1500 Kilometer nach Rumänien zu reisen.
gemalte Reiseroute des Grabsteins
Diesmal klappte es nun endlich und wir erreichten Hetzeldorf. Wir wurden wieder im Altersheim vorstellig. Der Heimleiter wollte uns ja auf dem Friedhof zeigen, wo genau sich das Grab befindet. Leider hatte er keine Zeit für uns. So schickte er einen der Heimbewohner mit uns, um uns die richtige Stelle zu zeigen. Im Gespräch unterwegs zum Friedhof stellte sich heraus, dass unser Begleiter „unseren Hans Onkel“ sehr mochte und nach seinem Tod von ihm die Aufgabe des Läutens der Glocken übernommen hatte.
gemalte Glocken
Auf dem Friedhof angekommen, ging dann die Suche nach der richtigen Stelle los, an der „Hans Onkel“ beerdigt wurde. Immerhin lag die Beerdigung schon sechs Jahre zurück und unser „Guide“ war ja auch nicht mehr der Jüngste. So ganz sicher war er sich dann auch nicht und steuerte nacheinander drei verschiedene Stellen an. Die Situation war ihm merklich peinlich. Wir erlösten ihn mit der Aussage, dass es uns nicht auf die exakt richtige Stelle ankommt.
gemalte Menschen laufen suchend zwischen Gräbern
Ein Teil des evangelischen Friedhof von Hetzeldorf.
Gemeinsam legten wir die Grabplatte an der vermeintlichen Grabstätte nieder. Ein paar Minuten hing jeder seinen Gedanken nach. Noch einmal wurde für uns diese eindrucksvolle Begegnung mit diesem begeisternden alten Mann im Jahre 2015 lebendig. Alle sechs anwesenden Augen wiesen erkennbare Feuchtigkeit auf.
gemalte weinense Augen mit Herzen dazwischen
Frau steht neben dem Grab
Ein kurzer Moment des Innehaltens.
Ob der Stein nun wohl an der exakt richtigen Stelle steht? Wir wissen es nicht. Aber falls nicht, wird „Hans Onkel“, wenn er von oben herab sieht, darüber ganz sicher nicht böse sein...
gemalte Onkel Hans von oben als Engel schwebend auf sein Grab schauend
weißer Grabstein
Nun hat „Hans Onkel“ seinen Grabstein, wenn auch leider mit deutlich zu großer Widmung. Aber: „este cum este“ (Es ist, wie es ist)
Und so gibt es wieder eine dieser vielen kleinen Geschichten mehr, die Rumänien so liebenswert machen…
gemaltes Herz in den rumänischen Nationalfarben blau, gelb und rot
Wer ein paar Fotos der Kirchenburg in Hetzelsdorf sehen möchte, findet diese hier in unserem Reisebericht von 2015.
www.ufftour.de
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