Siebenbürgen? Ja. Die Siebenbürger Sachsen? Ja. Wer aber weiß, dass auch in der Dobrudscha, rumänisch Dobrogea, am Schwarzen Meer deutsche Siedler lebten? Die ersten Siedler gelangten etwa 1841 von Bessarabien, aus der heutigen Südukraine in die damals osmanische Dobrudscha und gründeten erste Siedlungen. Nach vielen Auf und Ab endete jedoch diese Geschichte 1940. Als Folge des Hitler-Stalin Paktes wurde die damals etwa 14.500 Personen zählende Volksgruppe „Heim ins Reich“ geholt. Der größte Teil wurde im von Deutschland besetzten Polen angesiedelt und musste dort 1945 vor der Roten Armee zurück nach Deutschland flüchten. So kurz zur Geschichte. Wer mehr erfahren möchte kann sich auf www.dobrudscha.eu informieren.
Endlich nach langer Zeit wieder in der Dobrudscha sein, wunderbar, dazu noch im Mai wenn alles grün ist, der Frühling noch die Landschaft beherrscht. Dieses Mal mit gewichtigem Grund. Wir begleiteten die Buchvorstellung „Dobrudscha: Deutsche Siedler zwischen Donau und Schwarzem Meer“ gemeinsam mit dem Autor Dr. Josef Sallanz und der Kulturreferentin im BKM, Dr. Heinke Fabritius, die auch für die Dobrudscha und Bessarabien zuständig ist.
Unsere erste Station für die Lesereise war das Schillerhaus in Bukarest. Da wir mit dem PKW angereist waren, hatten wir interessante Zwischenstationen in Ungarn, Westrumänien, Arad, dann Hermannstadt/Sibiu und Kronstadt/Brașov. Das deutsche Kulturhaus Casa de Cultură „Friedrich Schiller” sieht von außen unscheinbar und etwas heruntergekommen aus. Im Innern aber strahlt es schon Geschichte aus.
Im Schillerhaus hatten wir eine rege Beteiligung und großes Interesse. Dr. Klaus Fabritius übernahm die Moderation, die Deutsche Abteilung des rumänischen Fernsehens „Akzente“ von TVR1 filmte. Man kann es jetzt noch auf YouTube ansehen.
Die nächste Station war Konstanza/Constanţa. Hier waren wir zu Gast in der Kreisbibliothek. Und das Interesse besonders groß. Es gibt hier ein Gymnasium mit deutschem Unterricht und eine Abteilung für Deutsch an der Ovid Universität. Deshalb hatten wir auch sehr viele junge Zuhörer.
Konstanza beherbergt den wichtigen rumänischen Hafen am Schwarzen Meer. In die Schlagzeilen geriet er als Ausweichhafen für Ukrainisches Getreide, als Folge des Überfalls Russland auf die Ukraine. Es ist aber auch sonst eine touristisch interessante Stadt mit vielen Museen. Das alte Zentrum, auch Halbinsel genannt, ist inzwischen gut restauriert. Hier befindet sich der Yachthafen und das 1910 im Jugendstil erbaute Casino. Jahrelang im Dornröschenschlaf wird es nun restauriert und hoffentlich 2024 frei gegeben.
Eine Abteilung des Demokratischen Forums der Deutschen hat in Konstanza ihren Sitz in der ehemals deutschen evangelischen Schule. Vom Forum wird eine Kindergruppe im etwa 15 km entfernten Oituz betreut. Diese Kinder üben deutsche Tänze und Gesänge ein und treten oft bei Veranstaltungen, z. B. beim Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober auf. Mit dem Forum haben wir schon länger engen Kontakt. Dieses Mal besuchten wir auch die Kindergruppe. Ouituz hat viele katholische Einwohner. Gegründet wurde das Dorf Mitte der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts von römisch-katholischen Tschangos der Region Moldau. Auch Nachfahren deutscher katholischer Siedler wohnen hier.
Die katholische Kirche in Oituz, die eine der schönsten in der Dobrudscha sein soll. An der Kirche sind Gedenktafeln der gefallenen Deutschen aus Oituz und Karamurat angebracht.
Auf dem Weg zur nächsten Lesung in Tulcea, der nördlichen Kreishauptstadt, dem Tor zum Donaudelta, besuchten wir zwei ehemals von Deutschen gegründete Orte. Die ehemals evangelische Kirche Kodschalak/Cogealac.
Und die evangelische Kirche in Tariverde. Vor der Kirche in Tariverde steht noch ein Gedenkstein für die Opfer des II. Weltkrieges und ein Gedenkstein an die deutschen Siedler von 1878 bis 1940. Beide Kirchen sind gut renoviert, werden nun aber von orthodoxen Rumänen genutzt, was deutlich an der Innenausstattung sichtbar ist.
Auch in Tulcea waren wir zu Gast in der Kreisbibliothek, unterstützt durch das Demokratische Forum der Deutschen in Tulcea. Damit war der offizielle Teil abgeschlossen.
Wie ihr sehen könnt, existieren noch einige interessante Gebäude, welche die deutschen Siedler errichtet haben. Von den Wohngebäuden ist natürlich nach über 80 Jahren nicht mehr viel übrig. Sie werden oft noch genutzt, aber natürlich umgebaut und modernisiert. Einige Schulgebäude sind noch erhalten. Es fehlt jedoch in der gesamten Dobrudscha ein Erinnerungsort, der nur diesem Zwecke dient. Dafür sind die orthodox umgewidmeten Gebäude nicht gut geeignet. Dazu soll die katholische Kirche in Malkotsch/Malcoci dienen. Sie liegt etwa 7 km entfernt vom Stadtzentrum Tulcea in Richtung Donaudelta. Malkotsch hatte 1940 etwa 1200 Einwohner, welche zu zu 98 % Deutsche waren. Gemeinsam mit der Stadt Tulcea versucht der Bessarabiendeutsche Verein die Kirchenruine zu erhalten und als Denkmal an die Geschichte herzurichten. Wir werden noch viel Geduld brauchen, es kostet sehr viel schwer beschaffbares Geld. Gern werden immer noch Spenden entgegen genommen, aber wichtiger wird die staatliche Hilfe durch rumänische Denkmalbehörden sein.
Nach diesen anstrengenden Tagen sollte auch die Erkundung der Umgebung und etwas wandern nicht zu kurz kommen. Wir hatten Glück:
Das Pfingstrosenfest in Fântâna Mare
Von diesem Fest hatten wir schon zu Hause erfahren. Der Termin passte, wir waren in der Nähe, in Tulcea und er kollidierte nicht mit den offiziellen Terminen der Lesereise. Fântâna Mare ist ein kleines Dorf mit knapp 500 Einwohnern, nur 7 km von Tschukurowa/Ciucurova entfernt, mitten zwischen bewaldeten Höhen. Von Tulcea aus immerhin etwa 55 km. Die Fahrt über die Landstraßen, vorbei an Kataloi, war aber am frühen Morgen wunderschön. Fântâna Mare kann man mit „Große Quelle“ übersetzen. Der Name stammt noch aus der osmanischen Zeit, wie auch sehr oft die Namen deutscher Dörfer, welche auf ehemals osmanischen Siedlungen wiedererrichtet wurden. Damals hieß der Ort Bașpunar mit ähnlicher Bedeutung.
Die Straßen bis nach Fântâna Mare waren gut in Ordnung. Dann kam ein staubiger und steiniger Feldweg auf eine Hügelkette hinauf. Als Wegweiser diente uns ein vorausfahrendes Auto. Das Dorf selbst war wie ausgestorben. Waren wir richtig, folgten wir dem Vorausfahrenden zurecht? Ja, wir kamen vollkommen eingestaubt schließlich auf einer Wiese an. Und hier zeigte es sich, dass sicher alle Einwohner und Gäste hier oben waren. Es war ein Volksfest.
Neben der Besichtigung der Pfingstrosen konnten wir das Ambiente des Volksfestes sehr genießen. Es erinnert sehr an die 70er und 80er Jahre, die Zeit war stehen geblieben. Nur, statt vieler Pferdefuhrwerke, waren hier alle mit dem PKW angereist.
Es gab Gesang, Tanz, Bier aus dem Fass im Plastikbecher, und viel Grillfleisch, auch selbstgebackenen Kuchen und Gemüsesalate. Alles konnten wir nicht verkosten. Groß und Klein saßen auf den Wiesen am Waldrand und unterhielten sich, aßen, musizierten. Mit Händen und Füßen konnten wir uns etwas unterhalten, bis wir auch auf Männer trafen, welche in Deutschland etwas Deutsch gelernt hatten. Da wurde es lustig. Zugereichten Schnaps musste ich leider ablehnen, wir wollten ja abends zurück. Rumänien hat eine 0 % Alkoholgrenze. Ich vermute, daran haben sich nicht alle gehalten.
Mehr über das Fest kann man im Internet erfahren. Das ehemals von Türken bewohnte Dorf wurde später von ethnischen Ukrainern aus Südbessarabien besiedelt. Sie bilden heute den Großteil der Bewohner des Dorfes und organisieren das Volksfest.
Staubige AnkunftAlle Dorfbewohner und Gäste sind schon auf dem BergSo sehen sie aus, die PfingstrosenEine einzelne BlüteDer Pfarrer moderiertIdylle im WaldMusikant am gedeckten Tisch
Der Rückweg führte uns noch kurz nach Atmadscha/Atmagea, eine der ältesten deutschen Siedlungen. Die Kirche, noch in osmanischer Zeit gebaut, ist unverändert, auch leider wieder geschlossen und das Dorf menschenleer. Jedoch, alle Straßen, selbst die abgelegene zum Friedhof, sind asphaltiert. Der Friedhof ist in einem noch schlechteren Zustand als der in Malkotsch. Alles zugewachsen. Die wenigen alten Grabsteine nicht mehr zu entziffern.
Wanderung im Macin Gebirge
Während sich im Donaudelta immer neues Land bildet, befindet sich im Norden der Dobrudscha das älteste Gebirge Rumäniens, älter als die bekannten Karpaten, das Măcin Gebirge. Vor Jahren konnten wir schon bei einem Zwischenstopp die beiden beieinanderliegenden, exponierten Berge Consul I und II besteigen und waren trotz der sommerlichen Hitze begeistert. Dieses Mal sollte es etwas mehr sein. Als Ausgangspunkt wählten wir den Ort Greci, der immerhin 5.000 Einwohner hat, d. h. auch eine ausreichende Infrastruktur und einen guten Zugang zum Nationalpark. Die Herkunft des Namens des Ortes ist nicht sicher bekannt. Man vermutet, dass es auf eine frühe griechische Besiedlung zurück geht. Mit dem Beginn des Granitabbaus Anfang des 19. Jahrhunderts kamen Steinmetze aus Italien, Griechenland und Bulgarien, deren Nachkommen bis heute hier leben. Die italienische Gemeinde wurde zu einem besonderen Kennzeichen des Ortes. Der Granitabbau spielt heute keine Rolle mehr.
Der höchste Berg im Gebirge ist der Țuțuiatu mit 467 Metern. Da Greci auf 30 m in der Donauebene liegt, doch ein guter Anstieg. Aber wir waren ja nicht wegen Höchstleistungen im Bergsteigen hier. Unser Weg führte zunächst von der Pension durch den Ort, der einen sehr guten Eindruck, besonders am Rand, macht. Dann endlich ging es bergauf. Auf dem zunächst noch flachen Anstieg weideten Pferde. Wir sparen uns die Wegbeschreibung. Der Aufstieg zum Gipfel war trotz Mitte Mai schon sehr sonnig und schweißtreibend. Der Rundweg am Gipfel und der Abstieg verliefen angenehm durch den Wald. Wegmarkierungen sind vorhanden. Aber einmal mussten wir uns auch durch den Wald ohne Markierung schlagen, wir hatten sie einfach verloren. Dank GPS und OSMand Karte auf dem Handy kein großes Problem.
Zwei Begebenheiten sollen erwähnt werden. Im Măcin-Gebirge leben seltene Tiere wie die Maurische Landschildkröte (Testudo graeca ibera), und die Europäische Hornotter (Vipera ammodytes), auch Sandotter genannt, die giftigste Schlange der rumänischen Fauna. Beide trafen wir. Die Schildkröte konnten wir sogar bei der Eiablage beobachten. Und natürlich viele Eidechsen verschiedener Arten.
Eine Besonderheit sind noch die Eichenwälder mit wilden Pfingstrosen. Auch die Pfingstrosenblüte hier konnten wir noch einmal bestaunen.
Auf dem ganzen Weg begegnete uns außer Tieren keine einzige Menschenseele. Nur auf dem letzten Stück, zurück zum Ort, ein Hirte mit einer großen Ziegenherde. Und dann unerwartet standen wir vor einem großen, neuen, modernen Gebäude. Wir waren auf dem Rückweg am Besucherzentrum Măcin Nationalpark angekommen. Auch hier keine Besucher, auch kein Mitarbeiter. Wir konnten das gut gemachte Zentrum in Ruhe besichtigen. Trotzdem erschreckend, denn gern hätten wir auch Fragen gestellt. Nach Ausschilderung übrigens mit EU Mitteln erbaut.
Pferde beim Aufstieg zum höchsten Berg des Măcin GebirgesMaurische Landschildkröte bei der Eiablage Blick vom 467 m hohen Țuțuiatu auf GreciDie giftige Europäische Hornotter (Vipera ammodytes)Ziegenherde bei GreciBesucherzentrum des Măcin Nationalparks
Kurz vor Fertigstellung des obigen Berichtes erreichte uns noch eine Meldung der rumänischen Plattform „Dobrogeanews“. In der Gemeinde Greci wurden 300 ha Maisfelder von einem Wanderheuschreckenschwarm vernichtet
Die zukünftige Donaubrücke
Es gibt nur wenige rumänische Zufahrtsmöglichkeiten in die, von der Donau abgeschnittene, Dobrudscha. Die bekanntesten sind die Sonnen-Autobahn Bukarest-Konstanza über die Autobahnbrücke und die Fähren bei Brăila und Galatz. Seit einigen Jahren ist eine neue Brücke im Bau. Die Brücke Braila-Jijila soll, Ende 2022 fertiggestellt, die längste Brücke Rumäniens und eine der größten in Europa werden. Die Brücke wird zwei Kilometer lang und fast 200 Meter hoch sein und wird die Landkreise Brăila und Tulcea verbinden. Unser weiterer Weg sollte uns nach Brăila führen und wir waren gespannt ob wir die Brücke sehen können. Und tatsächlich konnten wir die Brücke von der Donaufähre sehen. In etwa 3 km Entfernung sahen wir von der Fähre aus die Pfeiler der zukünftigen Hängebrücke und in der Mitte den Aufbau der zukünftigen Straße. Beeindruckend. Ob wir beim nächsten Besuch der Dobrudscha diesen Weg schon nehmen können?