Im Herbst 2023 nahm ich an einer Fotoreise des Leipziger Fotografen Ron Kuwede nach Rumänien teil. Es war eine sehr persönliche Kleingruppenreise mit fünf teilnehmenden Fotografen, die mehrere landschaftliche und kulturelle Highlights der Südkarpaten erschloss und in Bukarest ihren Anfang nahm. Auf die Reise wurde ich durch eine Anzeige auf Facebook aufmerksam und weil ich noch nie in Rumänien war, nahm ich aufgrund des vielversprechenden Programms kurzentschlossen an dieser Reise teil.
Woran denkt man, wenn man an Rumänien denkt Für mich persönlich war Rumänien ein unbekanntes Land, obwohl ich viel in Osteuropa unterwegs war und speziell das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion beruflich und privat intensiv bereist habe. Ich assoziiere Rumänien mit einem Traumziel vieler DDR–Touristen und Naturliebhaber, die ihren Urlaub abseits der näherliegenderen Möglichkeiten im Gebirge verbringen wollten. Und natürlich denkt man, wenn man an Rumänien denkt, auch unwillkürlich an Ceaușescu, an verwunschene Schlösser und den erdölgetriebenen Boom der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts.
Bukarest - der erste Eindruck An einem frühen Septembernachmittag landete ich mit zwei weiteren Teilnehmern unserer Fotoreise in Bukarest. Der Flughafen erinnerte mich irgendwie an die alten relativ kleinen Flughäfen der sowjetischen Provinz. Das erzeugte einerseits eine gewisse Vertrautheit und andererseits eine gewisse Vorsicht und besondere Aufmerksamkeit, die jedoch unbegründet war. Es gab während unserer Reise keine besonderen Vorkommnisse. Nachdem wir noch auf die Ankunft eines weiteren Teilnehmers gewartet hatten, fuhren wir in die Stadt. Die Stadt bot uns ein typisch osteuropäisches Bild aus alten Gebäuden, unheimlich viel Verkehr und einer Bautätigkeit, die man sich auch bei uns zu Hause wünschen würde. Man hatte den Eindruck, in einer Boomregion gelandet zu sein.
Untergebracht waren wir in einem viel zu luxuriösen, dafür aber kleinen und persönlichen Boutique Hotel in einer pompösen Gründerzeitvilla. Auf Nachfrage erklärte man mir, dass diese Villa am Ende des 19. Jahrhunderts von einer Bankiersfamilie mit engen Beziehungen zum Königshaus erbaut und vor der politischen Wende vom Geheimdienst genutzt wurde. Nach der politischen Wende gelangte das Gebäude wieder in die Hände der Nachfahren jener Bankiersfamilie, die es zu einem Hotel umfunktionierte. Ein Gebäude mit Geschichte im Wandel der Zeit. Ich habe über den Wodka „Stalinskaya“ in der Minibar meines Zimmers geschmunzelt, der einem von drei klassischen sowjetischen Designs nachempfunden ist. Die Betonung liegt auf nachempfunden, weil es in der Sowjetunion wohl einen Moskowskaya, einen Russkaya und einen Stolichnaya Wodka gab, aber keinen „Stalinskaya“ – auch nicht in den fünfziger oder sechziger Jahren.
Morgenstund hat Gold im Mund Eine Gruppenreise und speziell eine Fotoreise ist eine tolle Sache – man kann nicht nur von der unbekannten Umgebung lernen, sondern auch von den anderen Teilnehmern der Reise. Auf Solotouren sollte man dennoch nicht verzichten und so ging ich früh auf eine kleine Erkundungstour. Schön einer Stadt beim Erwachen zuzusehen. Typisch für Bukarest sind Tauben. Sie sammeln sich vor Sonnenaufgang an ihren Lieblingsorten, gern vor Denkmälern oder an Parks. Ich war glücklich, so einen Sammelplatz gefunden zu haben und wollte mich den Tieren vorsichtig nähern und „sie an mich gewöhnen, um in der Menge fotografieren zu können“. Das ist Unsinn; die Tiere mögen das nicht und sind auch schlau genug, selbst ein aufgestelltes Stativ, von dem ich per Fernauslöser vom Handy aus fotografieren wollte, als fremd zu erkennen. Und so blieben mir nur die allerersten Fotos, als sie vor mir die Flucht ergriffen. Sie kehrten erst zurück, nachdem die Luft wieder rein war. Aber nicht so zahlreich – die Stadt war erwacht und die Ruhe dahin.
Parlamentspalast von Ceaușescu Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Bukarest ist sicher der Präsidentenpalast. Diese fundamentale Erscheinung im neoklassizistischen Stil ist das zweit- oder drittgrößte Gebäude der Welt und spricht für den Größenwahn von Ceaușescu. Es thront auf einem Berg mit viel Fläche drum herum. Doch es ist nicht auf einer freien Fläche entstanden, wie man vermuten könnte. Für seinen Bau wurde ein historisches Wohnviertel von Bukarest praktisch vernichtet, fünfzigtausend Menschen zwangsumgesiedelt und der Berg um zwanzig Meter abgetragen.
Zahlen, wieviel der Bau dieses Gebäudes gekostet haben mag, sind Schall und Rauch, weil sie keine Relation vermitteln. Schwer vorstellbar, wie viele Ressourcen eines kleinen Landes wie Rumänien für den Bau eines solchen Gebäudes gebunden werden mussten. Und auch heute ist es mit seinen mehr als 1000 Räumen sicher mehr Last als Lust. Die Abgeordneten des rumänischen Parlamentes haben hier Büroräume. Man kann als Firma Räume für Veranstaltungen mieten. Die UNO hält wohl von Zeit zu Zeit Konferenzen hier ab und nutzt die Kombination von unbegrenzten räumlichen Möglichkeiten und luxuriösem Ambiente. Am erschreckendsten sind die großen Aufmarsch-Säle im Zentrum des Gebäudes. Was früher als Kulisse für Großveranstaltungen diente, ist heute nur ein unvorstellbar großer umbauter und nicht wirklich nutzbarer Raum.
Mir ist der Tourguide in Erinnerung geblieben. Er war jung und auf eine Art im Geist revolutionär und vom Glauben an die Demokratie durchdrungen, die man heute in unseren Breiten zunehmend seltener trifft. Zu lang ist es her und wird zunehmend von den Problemen der Gegenwart verdrängt.
Der Besuch des Parlamentspalastes ist eine Empfehlung. Die Handwerker und Künstler Rumäniens haben sich hier ein Denkmal gesetzt und jeder wird wohl ein Detail finden, was ihn persönlich anspricht. Man muss sich übrigens im Vorfeld anmelden und durchläuft beim Betreten des Gebäudes die zu erwartenden Sicherheitschecks wie an einem Flughafen.
Villa von Ceaușescu Die Villa von Ceaușescu liegt in einem ruhigen und schönen Wohngebiet, was auf den ersten Blick erstaunt. Man hätte hier Absperrungen/Mauern oder ähnliche Abgrenzungen erwartet. Und richtig – wie uns die Museumsführerin erklärte, wurde die unmittelbare Umgebung der Villa erst nach 1989 bebaut und war vorher abgeriegelt.
Rein äußerlich handelt es sich bei der Villa von Ceaușescu um eine Art kleines Schloss, das gar nicht so mächtig aussieht und heutzutage manchenorts durchaus noch als gehobenes Wohngebäude durchgehen könnte. Im Vergleich mit dem Wohnhaus von Honecker in Wandlitz ist es geradezu galaktisch. In der Position uneingeschränkter Macht und uneingeschränkter Ressourcen baut sich eben jeder genau das, was er sich erträumt. Ceaușescu muss sich als eine Art Fürst gesehen haben - nicht so groß wie der rumänische König, aber zumindest nicht kleiner als ein Fürst.
Das Gebäude ist auch im Inneren schön. Die Räume sind stilvoll eingerichtet und dem Interieur rumänischer Schlösser nicht unähnlich. Holzvertäfelungen, hochwertige Möbel, Kamine und Stuckdecken sind anzutreffen. Es gibt einen Wintergarten – wie in anderen Wohnhäusern auch, nur eben größer und mit vergoldeten Wasserhähnen. Es gibt verschiedene Bäder – wie in manchen Wohnhäusern auch, nur eben größer. Und es gibt - anders als in normalen Wohnhäusern - ein Schwimmbad mit einem Mosaik, an dem laut Museumsführerin zwei Jahre lang gearbeitet worden ist. Insgesamt schon befremdlich, wenn man sich vorstellt, dass das Gebäude in erster Linie als Wohnhaus von Ceaușescu und seiner Familie und weniger für staatliche Repräsentationszwecke genutzt wurde.
Mir haben am besten die Bilder Ceaușescus mit Persönlichkeiten der Weltgeschichte gefallen, die man in einem Laubengang im Garten anschauen kann. Mit dabei u.a. Kissinger, Nixon und Mao Zedong. Erstaunlich, welchen Zeitbereich Kissinger in seinem Berufsleben abdecken konnte, stammt das Foto doch aus den siebziger Jahren und verstorben ist er erst kürzlich. Toll fand ich die Szene mit Nixon: Offensichtlich waren zum Empfang Nixons am Flughafen von der Partei und Staatsführung Besucher bestellt worden, die in erster Linie sicher Ceaușescus huldigen sollten. Zu sehen ist, wie Nixon sich in Wahlkampfmanier dem „Publikum“ zuwendet und ihm mit vollem Einsatz zuwinkt. Eine richtige Einordnung der Bedeutung Ceaușescus kann man aus einem Foto mit Mao Zedong ableiten: Er (Ceaușescu) blinkt ihn (Mao Zedong) an wie einen Gott, der ihn jedoch keines müden Blickes würdigt und in die imaginäre Ferne sieht.
Das Wohnhaus von Ceausescu ist sehenswert und genauso stark besucht wie das Königsschloss „Castelul Peles“ in Sinaia. Mit Wartezeiten ist zu rechnen, vorher anrufen sicher sinnvoll.
Bukarest eine Metropole Da wir Anfang September in Bukarest waren, kamen wir auch in den Genuss von Straßenfesten, wie sie für den Herbst typisch sind. Was bei uns Erntedank- und Weinfeste sind, wird in Osteuropa oft als sogenannte „Tage der Stadt“ begangen. Wie diese Feste in Rumänien heißen, habe ich nicht erfragt.
Sie sind auf alle Fälle genauso bunt und vielfältig und voller Leben, wie man dies von jeder europäischen Metropole erwarten kann und ein dankbares Pflaster für die Straßenfotografie. Ich habe dabei die Bekanntschaft von hübschen rumänischen Mädchen, denen ich meine Fotos ohne Hemmschwellen direkt auf ihr Handy übertragen konnte, und einem amerikanischen Ehepaar gemacht, das auf meinem Handy erst die Option „Friends for ten minutes“ eingerichtet hat, bevor wir gegenseitig Fotos austauschen konnten.