Auf der Suche nach dem Alpenbirkenzeisig in Rumänien


Gewidmet dem Ornithologen Stefan Kohl (1922-1998)


von Stephan Ernst

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In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu ei­ner mas­si­ven Ein­wan­de­rung und Aus­brei­tung des Al­pen­bir­ken­zei­sigs in Mit­tel­eu­ro­pa. Die­se Bir­ken­zei­si­ge ka­men aber nicht aus ih­ren sub­al­pi­nen Le­bens­räu­men in den Al­pen, son­dern aus Groß­bri­tan­nien, wo seit der Eis­zeit ei­ne ei­ge­ne Po­pu­la­tion über­lebt hat. Durch um­fang­rei­che Wie­der­auf­fors­tungs­maß­nah­men mit Fich­ten und Bir­ken in der Süd­hälfte Eng­lands und vie­le neue Küs­ten­schutz­an­pflan­zun­gen mit Berg­kie­fern in Süd­skan­di­na­vien und Deutsch­land ver­mehr­ten sich die klei­nen Vö­gel ex­plo­sions­ar­tig und brei­te­ten sich bis zu uns nach Sach­sen aus, wo sie zu­erst die Berg­kie­fern­moore des Erz­ge­bir­ges be­sie­del­ten.
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Vögel in einem Nest
Vögel in einem Nest
Birkenzeisig(e) an einem Nest im Mai 1974 im Naturschutz­gebiet Großer Kranichsee im Westerz­gebirge. Foto: Helmfried Kreische.
Caliman-Gebirge
Ich wollte wissen, ob Birken­zei­si­ge in­zwi­schen auch Ru­mä­nien er­reicht hat­ten und dort brü­ten, am ehes­ten im sub­al­pi­nen Krumm­holz. Al­so star­te­ten wir (mei­ne Frau und ich mit mei­nem Cou­sin Frank) Mit­te Juni 1986 wie­der ein­mal nach Ru­mä­nien, um im Ca­li­man- und Rod­na-Ge­bir­ge nach Bir­ken­zei­si­gen zu su­chen. Wir fuh­ren mit dem Zug bis Re­ghin (Säch­sisch-Re­gen) und be­such­ten dort zu­erst den be­kann­ten sie­ben­bür­gi­schen Or­ni­tho­lo­gen Ste­fan Kohl. Er hol­te uns mit sei­ner Bei­wa­gen­ma­schi­ne vom Bahn­hof ab.
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Menschen posieren vor einem Tor
Stefan Kohl (links) und Frank (rechts) vor dem kleinen Haus des Ehepaars
Ausländer privat zu beherber­gen, war da­mals in Ru­mä­nien streng ver­bo­ten. Frank und ich schla­fen im Ho­tel, wäh­rend mei­ne Frau heim­lich bei den Kohls blei­ben darf. Herr Kohl spricht ne­ben sei­ner un­ga­ri­schen Mut­ter­spra­che auch flie­ßend Ru­mä­nisch und Deutsch, so­dass wir uns gut ver­stän­di­gen kön­nen. Er ist Kürsch­ner und Prä­pa­ra­tor und zeigt uns am nächs­ten Tag, be­vor wir ins Ca­li­man-Ge­bir­ge auf­bre­chen - dem höchs­ten vul­ka­ni­schen Ge­bir­ge der Ost­kar­pa­ten - sei­ne Prä­pa­ra­tions­werk­statt und die rie­si­ge Samm­lung an Vo­gel­bäl­gen, die im Gym­na­sium un­ter­ge­bracht ist.
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Wanderer auf einem Forstweg
Aufbruch am 15.6. von Neagra aus ins Gebirge
Wanderer in Berglandschaft
Berglandschaft
Rucksack in Berglandschaft
Abgefetzte Rinde eines Baumes
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Dann wilder beschwerli­cher Auf­stieg durch Ur­wald zur Berg­spit­ze Bȋt­ca Rǎ­ƫǎ­cel. Hier le­ben noch Braun­bä­ren, wo­rauf Kot, ein Schlaf­platz un­ter ei­ner rie­si­gen, hoch­kant ste­hen­den Baum­wur­zel und ab­ge­fetz­te Baum­rin­den, hin­ter der die Bä­ren nach Amei­sen und Amei­sen­lar­ven su­chen, hin­wei­sen.
Zelte auf einer Wiese
Unser Lagerplatz auf der Bȋtca Rǎƫǎcel (1173 m)
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Berglandschaft
Holzhütte in Berglandschaft
Weitermarsch zur Cica Micǎ
Mann sitzt auf einer Wiese neben drei Rucksäcken
... und zur Poiana Drǎguș
Paar mit Rucksäcken
Mann mit Rucksäcken
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Berglandschaft
Dann über den Gipfel Rǎƫiƫiș (2021 m) zum Sattel Șaua Negoiul. Im Hintergrund taucht der Gipfel des Pietrosul auf.
Zelte in Berglandschaft
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Berglandschaft
Am 18.6. besteigen wir den Negoiul Unguresc (2048 m).
defekte Biwakhütte
Die Biwakschachtel auf dem Gipfel ist nicht mehr bewohnbar.
Berglandschaft
Aufstieg am 18.6. bei herrlichem Wetter zum Pietrosul (2100 m), dem höchsten Berg im Caliman-Gebirge.
Mann sitzt mit Rucksack in Berglandschaft
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Berglandschaft
Berglandschaft
Dann Abstieg nach Norden über den Rand des Kraterkessels mit einem Durchmesser von 10 Kilometer.
Mann wandert in Berglandschaft
Menschen wandern durch Latschenfelder
Zelte in Berglandschaft
Über den Gipfel Mǎieriș (1885 m) hinweg geht es weiter bergab durch große Latschen­felder. Aber leider finden wir hier keine Birken­zeisige.
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Mann wandert in Berglandschaft
Wir gelangen über den Gipfel Tǎmǎu (1862 m) zu den 12 Aposteln, einer imposanten Felsgruppe im Caliman-Gebirge.
Menschen sitzen vor großem Felsen
Losung von Birkhühnern auf einem Felsen
Nur hier in Rumänien lebt also noch eine kleine Gruppe Birkhühner, denn wir finden etwas Losung. Stefan Kohl sah die letzten Birkhühner 1968 und 1969 am Gipfel Rǎƫiƫiș.
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Losung von Birkhühnern auf einem Felsen
Bei Regen und Hagel wandern wir mit den Schafhirten, die uns wie stets mit Milch und Käse versorgen, wieder taleinwärts bis nach Dornișoara. Wir haben zwar keine Birkenzeisige entdeckt, aber immerhin 59 Vogel­arten festgestellt, darunter Kolkrabe, Zwerg­fliegen­schnäpper und Alpen­braunelle.
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Holzkirche in Berglandschaft
Kirche...
Bahnhofsgebäude
... und Bahnhof von Dornișoara.
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Rodna-Gebirge
Mit dem Zug geht es weiter über Floreni und Ilva Mica nach Rodna.
Berglandschaft
Von Rodna aus steigen wir am 21.6. in Richtung Capul Beneșului durch herrliche Bergwiesen mit zirpenden Feld- und Maulwurfsgrillen ins Gebirge.
Zelte in Berglandschaft
Hirtenhund
Die schönen, nicht immer friedlichen Hirtenhunde sind auch wieder dabei.
Bergwiese
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Bergwiese
Blick vom Capul Beneșului (1587 m)
Der weitere Aufstieg über den Saua cu Lac (2140 m) zum Gip­fel Ineu ist be­schwer­lich. Es ist kalt und sehr win­dig. Kurz vor dem Gip­fel über­fällt uns ein Schnee­sturm. Wir müs­sen ab­stei­gen und lan­den im nord­öst­lich ge­le­ge­nen Hoch­tal am La­la-See.
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Zelte auf einer Bergwiese
Es ist so stürmisch, dass Franks Zelt erst einmal wieder zusammen­fällt.
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Aber am Morgen ist klare Sicht. Vor uns liegt das schönste Berg­pa­no­ra­ma, das man sich vor­stel­len kann. Ein Was­ser­fall mün­det di­rekt in den La­la­see. Rings­um blü­hen­de Al­pen­ro­sen­bü­sche. Es ist wie ei­ne Vor­se­hung, dass wir nur durch die­sen Sturm in die­ses Hoch­tal ab­stei­gen muss­ten. Das war gar nicht vor­ge­se­hen.
Bergkessel mit See
Schneefelder in Berglandschaft
Schneefelder
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Bergsee
Zelte auf einer Bergwiese
Berglandschaft
Berglandschaft
Und ausgerechnet hier erfüllt sich mein Wunsch! Denn am 24.6. hö­re ich in den Lat­schen un­ter­halb des Sees die Kon­takt­ru­fe von Bir­ken­zei­si­gen. Mehr­mals se­hen wir ei­ne Grup­pe von vier, ein­mal zwei und auch ein­zel­ne Vö­gel, die sich vom Sa­men der Berg­kie­fern er­näh­ren. Der Vie­rer­trupp könn­te ei­ne Fa­mi­lie mit flüg­gen Jun­gen ge­we­sen sein, zu­mal ich bei ei­nem Vo­gel das ty­pi­sche Kar­min­rot am Kopf ver­miss­te. War es ein Jung­vo­gel? Si­cher ge­hö­ren die­se Vö­gel der Al­pen­form an und nicht der nörd­li­chen Form, von der im Win­ter manch­mal vie­le in­va­sions­ar­tig weit nach Sü­den flie­gen. Es han­delt sich um die ers­ten Som­mer­nach­wei­se von Bir­ken­zei­si­gen in Ru­mä­nien!
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Berglandschaft
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drei Menschen posieren vor einem Gipfelstein
Am nächsten Tag können wir schließlich auf den Gipfel Ineu (2279 m), das Kuhhorn, steigen.
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Berglandschaft
Blick vom Kuhhorn in Richtung Nordwesten zu den Gipfeln Gǎrgǎlǎu und Pietrosul.
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Berglandschaft mit Schneefeld
Menschen wandern durch ein Schneefeld
Es ist immer noch furchtbar kalt und stürmisch, am Gipfel Gǎrgǎlǎu (2158 m) schneit es wieder.
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Șaua Gǎrgǎlǎu. Hier bei den Pfer­den sind wir erst ein­mal in Si­cher­heit, war­ten auf bes­se­res Wet­ter un­ter den miss­traui­schen Bli­cken der Hun­de. Doch in der Nacht wie­der Sturm und peit­schen­der Schnee­re­gen. Wir ma­chen kaum ein Au­ge zu.
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Pferde auf einer Bergwiese
Hirtenhund
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Berglandschaft
Menschen kochen vor Zelten auf einer Wiese
Besser steigen wir erst einmal ab zur Kalksteinkante der Ripa Piatra Rea bei etwa 1400 m.
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Blume
In den Kalksteinwänden wächst Edelweiß...
Blume
... und Läusekraut.
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Berglandschaft
Am nächsten Tag Wetterbesserung, wenngleich noch ein starker Wind pfeift.
Berglandschaft teilweise in Wolken ghüllt
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Frau wandert in Berglandschaft mit dunklen Wolken im Hintergrund
Es geht weiter über den Gipfel Galaƫului (2048 m) zur Tarniƫa Birsanului.
Zelte neben Sträuchern
Hier bauen wir unsere Zelte windgeschützt hinter einem Latschen­busch auf. Im Hintergrund der Pietrosul (2303 m), der höchste Berg im Rodna-Gebirge.
Leider befindet sich der Gip­fel auch beim zwei­ten An­lauf am 29.6. im di­cken Ne­bel. Ab­stieg in den nörd­lich ge­le­ge­nen Kes­sel der schö­nen Cǎl­da­rea Pie­troasǎ, wo Mur­mel­tie­re und Gem­sen le­ben, von dort über den Le­zer-See nach Bor­șa. 67 Vo­gel­ar­ten konn­ten wir auf un­se­rer Wan­de­rung nach­wei­sen, da­run­ter Wes­pen­bus­sard, Wan­der­fal­ke, Uhu und, vor al­lem: Bir­ken­zei­sig!
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Gleich nach unserer Rückkehr setzte ich mich mit Ste­fan Kohl in Ver­bin­dung. Er war na­tür­lich be­geis­tert von un­se­rer Ent­de­ckung. Aber erst 1995 kam es zu ei­ner ge­mein­sa­men Ex­kur­sion ins obe­re La­la-Tal, um noch ein­mal nach Bir­ken­zei­si­gen zu su­chen. Lei­der ent­deck­ten wir in der Zeit vom 26.6. bis 29.6. in den Lat­schen un­ter­halb des La­la-Sees kei­ne mehr. Of­fen­bar hat­te es sich 1986 um ei­ne kurz­fris­ti­ge An­sied­lung von we­ni­gen Vö­geln ge­han­delt.
Mann sitzt neben seinem Rucksack auf einer Wiese
Stefan Kohl am 29.6.1995 bei einer Rast im Lala-Tal.
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Stefan Kohl gehört zu den be­deu­tends­ten Or­ni­tho­lo­gen Ru­mä­niens. Die Lis­te sei­ner in meh­re­ren Spra­chen ver­fass­ten wis­sen­schaft­li­chen Pu­bli­ka­tio­nen um­fasst 118 Ti­tel. Von be­son­de­rer Be­deu­tung sind der mit Wer­ner Klemm ver­fass­te drit­te Band der „Vo­gel­welt Sie­ben­bür­gens“ so­wie sei­ne be­rühm­te zoo­lo­gi­sche Samm­lung mit rund 2300 Vo­gel- und 200 Säu­ge­tier­prä­pa­ra­ten, 3700 Vo­gel­ske­let­ten und 900 Säu­ge­tier­schä­deln. Auf­grund sei­ner Ver­diens­te wur­de Ste­fan Kohl zum Eh­ren­bür­ger der Stadt Re­ghin er­nannt.
Mann vor einem ausgestopftem Vogel
Stefan Kohl mit ei­nem von ihm aus­ge­stopf­ten Auer­huhn in sei­ner klei­nen Prä­pa­ra­tions­werk­statt in Re­ghin. Hier oder auch un­ter­wegs er­leb­ten wir ihn als gro­ßen Ge­schich­ten- und Anek­do­ten­er­zäh­ler mit viel Hu­mor und auch Spott ge­gen­über Dumm­köp­fen und Groß­mäu­lern. Die Werk­statt wur­de nach sei­nem Tod bis 2002 von sei­nem En­kel Zol­tán Már­kus wei­ter­ge­führt. – Foto: Zoltán Márkus
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Die heute in einem Neben­ge­bäu­de des Gym­na­si­ums von Re­ghin un­ter­ge­brach­te zoo­lo­gi­sche Samm­lung trägt sei­nen Na­men: „Na­tur­kun­de­mu­seum Ste­fan Kohl“. Ne­ben den zahl­rei­chen Bäl­gen sind hier auch vie­le Stand­prä­pa­ra­te aus­ge­stellt.
ausgestellte Vögel auf einem Zweig sitzend
Habichtskäuze. – Foto: Zoltán Markus.
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ausgestellte Vögel in einer Vitrine
Nachreiher, Große Rohrdommel und Löffler. – Foto: Zoltán Markus.
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ausgestellte Vögel in einer Vitrine liegend
Bälge von Eichelhäher und Tannenhäher in Kohls Sammlung. – Foto: Rozalia Székely.
Im Oktober 1995 besuchten uns An­na und Ste­fan Kohl in Klin­gen­thal. Wir zeig­ten ih­nen die Hoch­moo­re im West­erz­ge­bir­ge, wo die Al­pen­bir­ken­zei­si­ge in den 1970er Jahren so häu­fig wa­ren.
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Paar macht Pause auf einer Bergwiese
Anna und Stefan Kohl am 7.10.1995 in Rolava (Sauersack) im tschechischen Westerz­gebirge.
Grabstein auf einem Friedhof
Die Grabstätte von Anna und Stefan Kohl in Reghin. – Foto: Zoltán Markus.
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Für wertvolle Auskünfte be­dan­ke ich mich herz­lich bei Zol­tán Mar­kus (Diet­furt).
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